Offener Brief an Herrn Heinrich Heine von Michael Bleiberg

Eine Glosse

Sehr ge- und verehrter Herr Heine,

just zu Ostern sind mir einige Zeilen Ihres Gedichtes aus Ihrem Gedichtband „Deutschland ein Wintermärchen“ von einem Freund im Geiste – Herrn Gerd Buurmann, auf dessen Internetportal „Tapfer im Nirgendwo“ ich den geneigten Leser ausdrücklich hinweisen möchte – in Erinnerung gerufen worden. Hier zunächst die Verse:

Mit Wehmut erfüllt mich jedesmal
Dein Anblick, mein armer Vetter,
Der du die Welt erlösen gewollt,
Du Narr, du Menschheitsretter!

Sie haben dir übel mitgespielt,
Die Herren vom hohen Rate.
Wer hieß dich auch reden so rücksichtslos
Von der Kirche und vom Staate!

Zu deinem Malheur war die Buchdruckerei
Noch nicht in jenen Tagen
Erfunden; du hättest geschrieben ein Buch
Über die Himmelsfragen.

Der Zensor hätte gestrichen darin,
Was etwa anzüglich auf Erden,
Und liebend bewahrte dich die Zensur
Vor dem Gekreuzigtwerden.

Ach! hättest du nur einen andern Text
Zu deiner Bergpredigt genommen,
Besaßest ja Geist und Talent genug,
Und konntest schonen die Frommen!

Geldwechsler, Bankiers, hast du sogar
Mit der Peitsche gejagt aus dem Tempel —
Unglücklicher Schwärmer, jetzt hängst du am Kreuz
Als warnendes Exempel!

Dieser Auszug aus dem Gedicht „Die Sonne ging auf bei Paderborn“ befindet sich in Kapitel XIII des vorerwähnten Zykluses. Sehr schön gereimt, wirklich sehr schön. Mich stören nur folgende Falschaussagen: Sie, ge- und verehrter Herr Heine, behaupten, dass Mangels der Buchdruckerkunst, die erst von Herrn Gutenberg im Jahre 1450 erfunden wurde, der hier durch Kreuzigung zu Tode- Gekommene, nicht in der Lage war, seinen Glaubensinhalt zu „Papier“ gebracht zu haben. Und, wenn er es gekonnt hätte, „die Herren vom hohen Rate“ wie Sie sie nennen, eine Zensur ausgeübt hätten, die ihn vor den Kreuzesqualen verschont hätte.

Sehr ge- und verehrter Herr Heine, Sie und ich wissen doch genau, dass die Verbreitung religiöser Texte von Anfang an nicht des Buchdruckes bedurfte. Alle Schriften, des Alten und des Neuen Testamentes sind durch die Jahrtausende uns überliefert und vorbildlich erhalten. Worauf ich hinweisen möchte, hätte ihr und mein „armer Vetter“ es gewollt, hätte er so viele Bücher über Himmelsfragen schreiben können wie er nur gewollt. So fiel es seinen Gefolgsleuten anheim, über seine Lehren und sein Wirken der Nachwelt zu berichten. Selbst eines der Kernstücke des Neuen Testaments, die Bergpredigt, trägt seine Unterschrift nicht, womit man alles was unser „armer Vetter“ je getan und gesprochen hat auf Hörensagen zurückführen muss!

Und Zensur wurde schon gar nicht ausgeübt! Sonst wären die Schriften unserer Propheten über die Jahrtausende nicht erhalten geblieben. Übrigens nicht wenigen unserer Propheten wurde gar übel mitgespielt und sie hatten ähnliches zu erleiden wie unser „armer Vetter“. Hätte man jedes Mal deshalb so großes Aufsehen darüber gehegt, wie bei unserem „armen Vetter“ wir hätten womöglich statt drei unendlich viele monotheistische Religionen.

Aber mit Zensur kennen Sie sich ja bestens aus. Wurden doch Ihre Schriften hier in Deutschland mehrfach verboten was u.a. auch dazu führte, dass Sie selbst ins Pariser Exil flüchteten. So wissen Sie aus eigener Erfahrung, dass Zensur auch dem „armen Vetter“ aus seiner misslichen Situation nicht gerettet hätte.

Aber sei´s drum. Alles schön, wirklich schön gereimt und zu Papier gebracht. Um nochmals auf die Zensur zu sprechen zu kommen – hätten Sie, ge- und verehrter Herr Heine, noch die Jahre der Nationalsozialistischen Diktatur miterlebt, wären nicht nur Ihre Bücher in Feuer aufgegangen, sondern man hätte Sie gleich dem Feuer hinterhergeworfen. So hätte auch Sie die Zensur nicht „vor dem Gekreuzigtwerden“ verschont.

Und so liest sich ja wohl auch die hier angeführte 2. Strophe ganz anders, wenn man das „dir“ mit einem „mir“ austauscht. Ja, sie haben Ihnen übel mitgespielt, „die Herren vom Hohen Rate“. Und doch haben Sie sich den Mund nicht verbieten lassen. Mein Respekt! Und diese blasphemischen Zeilen bezeugen, dass das über Sie vergossene Weihwasser Sie nicht verrenkt hat.

Was also bleibt? Geldwechsler und Bankiers „mit der Peitsche“ aus dem Tempel jagen – erst dann wird’s Ruhe geben.

Mit vortrefflicher Hochachtung
Ihr
Michael Bleiberg

  • Beitrags-Kategorie:Artikel