Von Dr. Isaac Breuer, Jerusalem
Isaac Breuer s“l wurde 1883 in Pápa, Ungarn, geboren und starb 1946 in Jerusalem. Sein Vater, Rabbiner Salomon Breuer s“l, der die Nachfolge der Austritts-Gemeinde in Frankfurt am Main nach dem Ableben Rabbiner Hirschs übernahm, war mit Zippora Hirsch verheiratet, so war Issac ein Enkel Rabbiner Hirschs. Da Rabbiner Hirsch bereits 1888 verstarb, hat ihn Isaac Breuer nur als Kleinkind noch erlebt. Aber das Haus seines Vaters war so mit den Gedanken und Veröffentlichungen seines Großvater erfüllt, dass man mit Recht sagen darf, dass die Familie Breuer das Erbe Rabbiner Hirschs angetreten ist. Isaac Breuer wurde Jurist, und habilitierte auch in dem Fach, doch seine ganze Leidenschaft galt der Philosophie und dem Aufbau und der Unterstützung der „Agudat Israel“, eine 1912 gegründete jüdisch-orthodoxe Weltorganisation, die sich für die Schaffung eines Gottesstaates in Erez Israel einsetzte. Sie stand damit im Gegensatz zu den Zionisten, die statt eines Gottesstaates die Errichtung eines Judenstaates befürwortete. In seiner Eigenschaft als Vertreter der „Agudat Israel“ war Dr. Isaac Breuer mehrmals in Palästina unterwegs, bis er 1936 dann ganz nach Jerusalem übersiedelte.
Wikipedia: Neben seiner juristischen Tätigkeit veröffentlichte Breuer Schriften, in denen er sich mit jüdischen, philosophischen und politischen Themen, vor allem mit dem Zionismus, auseinandersetzt. Dabei sah er sich in der Nachfolge seines Großvaters, allerdings geprägt durch seine Auffassung der kantischen Philosophie.
Als orthodoxer Jude sah er eine untrennbare Verbindung von „Thora“ – Gottesgesetz, „Eretz Israel“ – Gottesland und „Volk Israel“ – Gottesvolk. Diese Verbindung sah er durch die Zionisten, die größtenteils den Aufbau eines laizistischen Staates vorantrieben, gestört.
Für Einzelheiten über diese besondere jüdisch-orthodoxe-deutsche Persönlichkeit empfehle ich das gerade im Morascha-Verlag neu aufgelegte Buch „Mein Weg“. Eine Autobiographie Isaac Breuers. https://morascha.ch/produkt/mein-weg-isaac-breuer/
1936 veröffentlichte Breuer in der Zeitschrift „Nachalat Zwi“ die sogenannten „Erez Jisroel-Briefe“ in denen er sein Leid über die Zustände im „Heiligen Land“ ausdrückte das damals unter der englischen Mandatsregierung stand. Einerseits waren da die arabischen Übergriffe auf jüdisches Leben, andererseits die Ablehnung der Thora in weiten Teilen der jüdischen Bevölkerung.
Eine Kurzfassung des ersten Briefes, der Ende April 1936 in Jerusalem geschrieben wurde, wurde auch in der Zeitung „Jüdische Presse“ veröffentlicht. Die Zeitung erschien von 1920 bis 1936 in Wien und Bratislava. Sie war ein Organ der „Agudat Israel“.
Der nachfolgende Text wurde dem heutigen Sprachgebrauch leicht angepasst und mit Erklärungen versehen von Michael Bleiberg. Das Original finden Sie in der Universitätsbibliothek Frankfurt am Main unter https://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/cm/periodical/titleinfo/2630659
Von meinem Fenster schaue ich auf ein Feld mit tropfenbehangenen glitzernden Ölbäumen, auf sanft geschwungene Hügel und, weit darüber hinweg, auf die Berge Moabs, jenseits des Jarden[1]. Zur Linken aber, zum Glück nicht verdeckt vom englischen Sporthaus[2] mit seinen aufdringlich hohen Türmen, winkt der Zionsberg, brütet das Geheimnis. —
Bin ich nun hier zu Hause?
Hierher habe ich mich gesehnt, seit ich fühlen und selbständig denken kann. Unfassbar schön ging der Traum meiner Jugend in Erfüllung. Bin ich nun hier zu Hause?
Ich bin es nicht, und ich werde es wohl niemals werden. Erez Jisroel bleibt das Land der Sehnsucht, auch wenn man gewürdigt ist, daselbst zu weilen. Die Sehnsucht in Erez Jisroel ist nur eine Steigerung der Sehnsucht nach Erez Jisroel. In G´ttes Land ist man nicht zu Hause. In G´ttes Land ist man zu Gast. Noch aber ist der Hausherr nicht erschienen.[3] Noch brütet um Zion, qualvoll unergründlich, das tausendjährige Geheimnis.
Es ist nicht leicht, ständiger Gast zu sein. Die Tefillin zogen wir tagsüber aus, weil wir die Kraft nicht mehr hatten, ihrer ständig bewusst zu bleiben.[4] Woher die Kraft, sich Erez Jisroel unter die Füße zu legen und seiner nie zu vergessen?[5]
Aus der Erkenntnis eigener Unzulänglichkeit rührt es, dass manche Olim[6], namentlich in den ersten Zeiten, schwere seelische Erschütterungen erleben. Es sind nicht die schlechtesten.
Gerade das Gefühl aber, hier nur Gast zu sein, erhält die Erinnerung an das Herkunftsland lebendig. Sollten nicht auch unsere Väter ihres Aufenthaltes in Mizrajim stets gedenken?[7]
Dreimal im Jahr waren einst G´ttes Gäste an die Tafel des Herrn geladen[8]. Ein Abglanz der großen Vergangenheit und eine Ahnung kommender Herrlichkeit lag auch diesen Pessach über Jeruschalajim. Von allen Gegenden des Landes strömte es herbei, und es war ein wehmütig-frohes Wiedersehen, ein glücklich-ernstes Sichfinden: am Sederabend, auf den festlichen Straßen, beim G´ttesdienst und bei geselligen Veranstaltungen.[9]
Sehnsucht in Erez Jisroel, wohin geht sie? Sehnsucht nach Vereinigung mit den Söhnen der Gola, Sehnsucht, dass die vereinten Söhne der Gola im Lande G´ttes die G´ttesnähe wieder gewinnen, um sich und alle Völker von dem schweren Leid zu erlösen, das sie alle deckt, seit G´tt nicht mehr auf Erden wohnt. Sehnsucht in Erez Jisroel: Jeder Tag weckt sie aufs Neue, wenn etwa die Spätsonne Jeruschalajim in zärtliche Farben taucht und der flüsternde Hauch des geweihten Bodens um Rückkehr des entschwundenen Gebieters fleht.
Wie lange noch?
Es gibt eine passive und es gibt eine aktive Sehnsucht. Unsere Generation aber ist gewürdigt, ihre Sehnsucht in Taten umzusetzen.
Wer diese aktive Sehnsucht nicht kennt, sollte dem Lande fernbleiben. Die passive Sehnsucht ist in der Gola leichter tragbar als hier.
Denn G´ttes Land birgt heute seltsame Gäste. Es halten sich die Araber für die Alleinherren des Landes, und es machen viele Juden G´ttes Anspruch streitig.
*
Es gibt eine Araberfrage und es gibt eine Judenfrage im Lande. Beide Fragen sind bitterernst.
Die heutige Situation beweist es.
Arabische Mörder haben jüdisches Blut vergossen.[10] Das Arabertum aber rückt von den Mördern nicht ab,[11] sondern es proklamiert in unmittelbarer Folge den Generalstreik. Und das Judentum?
Alle offiziellen jüdischen Kundgebungen in Wort und Schrift sind vom Geist unerschütterlicher Entschlossenheit erfüllt, das wohlerworbene Mitrecht des jüdischen Volkes an Erez Jisroel bis aufs Äußerste zu verteidigen und sich von keinerlei Gewalttat des Arabertums abschrecken zu lassen. Auf dieses „jetzt erst recht“ sind alle jüdischen Begeisterungen abgestellt. Deutlich kommt in ihnen das Rechtsgefühl einer eben erst zum neuen Leben erstandenen Nation zum Ausdruck.
Aber von G´tt ist in den offiziellen jüdischen Kundgebungen keine Rede. Von G´tt schweigen die Tageszeitungen. —
Wie fremd mutet das alles an! Wie groß ist der Riss zwischen diesem Judentum, Erez Jisroel und seiner öffentlichen Erscheinung und dem Judentum der Gola! Wie fern steht es dem wahren Herrn des Landes![12]
Seltsamer Widerstreit der Gefühle!
Jeden Satz dieser Kundgebung möchte man unterschreiben, und dabei verkrampft sich das Herz vor Sehnsucht nach einem guten jüdischen Wort, das die Brücke schlägt zwischen Vergangenheit und Zukunft, verzehrt sich das Auge vor Begier, nur auf einen Moment die Werke nationaler Kraftbewußtheit lüften und das gute jüdische Antlitz schauen zu dürfen, dem die langen Jahrhunderte die Züge heroischen G´ttvertrauens unauslöschbar eingeprägt haben.
Es gibt die Araberfrage. Aber wahrhaftig, es gibt auch die Judenfrage.[13]
Sind wir wirklich schon so weit, dass wir der Hilfe G´ttes, auch nach menschlichem Kalkül, entraten (verzichten) könnten? Ist das werdende Erez Jisroel das Land, das G´ttes Augenmerks nicht fortgesetzt bedarf? Sind wir heute schon stärker als einst das Reich der Söhne Ephrajims, das Reich der Söhne Judas?[14] War nicht den Propheten unseres Volkes jedes verwüstete jüdische Feld, jeder Tropfen vergossenen jüdischen Blutes im Lande G´ttes ein furchtbar düsteres Mahnzeichen des Unwillens des wahren Herrn des Landes? Wo ist der Prophet, der Neu-Ephraim[15] die bitterharte Wahrheit kündet und ihr die Herzen erschließt?
Neu-Ephraim erlässt Manifest auf Manifest.
Aber Mea-Schearim[16] betet die Psalmen unseres Königs David.
Die Araberfrage ist zugleich die — Judenfrage.
Warum es verschweigen? Man braucht noch lange nicht „gläubig“ zu sein, um sehen zu können, dass auf dem Wege natürlichen Geschehens alle Konstellationen — gegen uns sprechen. Es ist buchstäblich Wahrheit: können wir schon in der Gola des Schutzes G´ttes nicht entraten, im werdenden Erez Jisroel können wir es erst recht nicht. Das werdende Erez Jisroel ist auf — Wunder G´ttes gebaut.
Die Araberfrage ist zugleich die — Judenfrage.
Die Araberfrage ist in ihrer neuen Zuspitzung ein Weckruf G´ttes an Neu-Ephraim, ein Weckruf G´ttes vor allem in die Gola: Kommt herein ins Land, jetzt erst recht, opfert für das Land, jetzt erst recht! Helft uns das Gästerecht der Thora zur Anerkennung, zur Geltung zu bringen, auf dass das Wunder sich vollziehe, dem unser aller Sehnsucht gilt, nicht Entmutigung, sondern ganz im Gegenteil, Aufrüttelung sollen uns die Opfer bringen, die ruchlose Mörderhand erschlug. Kommt als Gäste in G´ttes Land und, macht aus dem Land der Sehnsucht das Land nationaler und menschlicher Erfüllung.
In der gleichen Ausgabe der Zeitschrift „Jüdische Presse“ erschien der nachfolgende Artikel, den ich hier wiedergeben möchte:
Neue Zuspitzung der Lage im Heftigen Lande
Um das Wochenende, zwischen der achten und neunten Unruhewoche, hat sich die Situation in Palästina abermals in einer Weise verschärft, dass diejenigen Kreise in allen Lagern, die sich ein ruhig abwägendes Urteil bewahrt haben, von einer Kulmination der Ereignisse sprechen und nunmehr eine Wendung erwarten. Der arabische Terror hat auch nicht die kürzeste Unterbrechung erfahren. In allen Teilen des Landes werden unausgesetzt — zum Teil folgenschwere — Anschläge gegen jüdisches Leben und Gut verübt. Die Zahl der jüdischen Toten hat sich weiter erhöht. In einer amtlichen Reuter-Meldung vom, 14. Juni wird die Zahl der seit Beginn der Unruhen ermordeten Juden mit 32 angegeben. Es steht leider zu befürchten, dass es damit nicht sein Bewenden haben wird, da mehrere bei einem Bombenattentat auf einen von Haifa nach Lydda fahrenden Zug Verletzte mit dem Tode ringen.
Charakteristisch für die Situation ist, dass arabische Banden, die gut ausgerüstet und sogar mit Maschinengewehren versehen sind, geschlossene Angriffe auf jüdische Siedlungen wagen. Dies und die unaufhörlichen Sabotageakte haben die Regierung zu verschärften Gegenmaßnahmen veranlasst.
Ein am 13. Juni erlassenes Dekret des High Commissioner für Palästina bestimmt, dass die Todesstrafe oder lebenslängliche Kerkerstrafe gegen Aufrührer erlassen werden kann, die auf den britischen Sicherheitsdienst schießen oder Bomben mit der Absicht werfen, Tod, Verletzungen oder Materialschäden zu verursachen. Diesen Strafen unterliegen auch Delinquenten, welche Kommunikationen welcher Art immer vernichten oder beschädigen.
Die Zensur hat eine Überwachung aller Verbindungen mit dem Ausland wie in Kriegszeiten eingeführt. Nach einer Mitteilung des High Commissioner Sir Arthur Wauchope ist die Benutzung des Fernsprechers für Pressegespräche nach dem Ausland vollständig gesperrt worden. Ferngespräche dürfen bis auf weiteres nur von den Regierungsstellen, der Armee, den Konsuln, der Jewish Agency und den Banken geführt werden.
Die Regierung hat die Mobilisierung von weiteren 400 jüdischen Polizisten angeordnet, so dass gegenwärtig 800 jüdische Polizisten, von der Regierung bewaffnet, Dienst tun.
Den streikenden Hafenarbeitern ist ein Ultimatum, gestellt worden, in dem sie aufgefordert werden, innerhalb drei Tagen die Arbeit aufzunehmen. Wer dies nicht tut, gilt als entlassen und wird auf keinen Fall wieder eingestellt. Ähnliche Ultimata sollen auch an alle anderen Streikenden der öffent- lichen Betriebe gerichtet werden.
3 Millionen Pfund Schaden
Sachkundige schätzen den Schaden, den Palästina in den acht Wochen, die die Unruhen andauern, erlitten hat, auf insgesamt 3 Millionen Pfund. Die Regierung hat einen Schaden von 500.000 Pfund, die Juden infolge der Niederbrennungen und Zerstörungen und der Wirtschaftsstörungen 1,5 Millionen Pfund, die Araber infolge Lohn- und Verdienstausfall durch Streik 1 Million Pfund erlitten.
Arabische Propagandaaktion im Ausland
Eine arabische Delegation, die vom Jamal el Husseini, einem Neffen des Mufti, geführt wird und der auch die christlichen Araber Shibli Iamal und Dr. Tanus angehören, hat sich nach London begeben. Die Delegation verfolgt reine Propagandazwecke und wird versuchen, die englische Öffentlichkeit zu Gunsten der Araber umzustimmen.
[1] Der Fluss Jordan
[2] Gemeint ist möglicherweise das YMCA-Gebäude
[3] Gott, der Hausherr des Landes ist noch nicht erschienen, um seine Gäste willkommen zu heißen.
[4] Wir tragen die Gebetsriemen (mit Ausnahmen) nur noch zum Morgengebet im Gegensatz zu den „alten“ Zeiten, an denen sie den ganzen Tag getragen wurden.
[5] Psalm 137:5; Wenn ich dein vergesse, Jeruschalajim, vergesse meine Rechte (Hand)! (Übersetzung Rabbiner S.R. Hirsch)
[6] Einwanderer nach Eretz Israel gibt es seit dem 12. und 13. Jahrhundert
[7] Deuteronomium16:3 לְמַ֣עַן תִּזְכֹּר֔ אֶת־י֤וֹם צֵֽאתְךָ֙ מֵאֶ֣רֶץ מִצְרַ֔יִם כֹּ֖ל יְמֵ֥י חַיֶּֽיךָ auf dass du gedenkest des Tages deines Auszuges aus dem Lande Ägypten all die Tage deines Lebens.(Übersetzung Rabbiner S.R. Hirsch)
[8] Zu den Walfahrtsfeiertagen
[9] Wie in der Einleitung erwähnt wurde dieser Artikel im April 1936, also nach den Pessachfeiertagen geschrieben.
[10] Am 15. April 1936 wurden 2 Juden auf einer Straße von Tulkarem nach Nablus von Arabern ermordet. Am 19. April 1936 wurden 16 Juden in Jaffa von Araber ermordet. Die englische Mandatspolizei erschoss daraufhin 6 Araber. Angeführt vom Mufti von Jerusalem, dem späteren „Freund“ Hitlers, kam es infolgedessen zu schweren Überfällen und Unruhen im ganzen Land.
[11] Damals so wie heute
[12] Wie weit hat sich durch die Politik der Zionisten das Volk von Gott entfernt??!!
[13] Wie können Juden ohne Gott auf Gottes Boden leben??!!
[14] Nach dem Tod König Salomons spaltete sich das Reich in einen Staat Israel und einen Staat Juda. Der erste König des Nordreiches Israel war Jerobeam. Zusammen mit dem Stamm Ephraim erhob er sich. Deshalb wird Israel auch Ephraim genannt. Sie fielen sofort von Gott ab.
[15] Den laizistischen Juden
[16] 1. Orthodoxe Viertel in Jerusalem seit 1873