In Österreich erschien in den Jahren von 1920 bis 1938 die Wochen-Zeitschrift „Jüdische Presse“. Im Untertitel klärte die Zeitung darüber auf, für wen sie herausgegeben wurde: „Organ für die Interessen des orthodoxen Judentums“. Die Zeitung erschien in Wien und Bratislava, war aber auch Lesern in Deutschland zugänglich.
Der hier abgedruckte Artikel ist vom 26.11.1937. Der „Anschluss“ Österreichs an Deutschlang erfolgte im März 1938. Es war somit die letzte Chanukka-Ausgabe dieser Zeitung.
In dem Artikel wird der „Der Sieg des Geistes“ gefeiert, der den Europäern damals wie heute vollkommen abhandengekommen war und ist.
Der Text wurde dem heutigen Sprachgebrauch leicht angepasst und mit Erklärungen versehen von Michael Bleiberg. Das Original finden Sie in der Universitätsbibliothek Frankfurt am Main unter:
https://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/cm/periodical/pagetext/2637986
(Zum Chanukka-Fest.)
»Mai Chanukka?«[1] — Warum feiern wir das Chanukka-Fest? — so fragen unsere Talmudweisen im Traktat Schabbos[2] und ihre Antwort lautet lakonisch dahin, dass das Wunder gefeiert wird, das geschah, als die Hasmonäer die Syrier besiegten, den heiligen Tempel wieder einweihten, und sich bloß ein reines Krüglein Öl vorfand, das nur für einen Tag hätte reichen sollen, aber für 8 Tage reichte, bis neues, unentweihtes Öl zubereitet werden konnte. Nur diese wenigen Zeilen werden im Talmud über die Makkabäerkämpfe gebracht, die ja an und für sich selbst ein Wunder darstellten. Es folgen dann auf etwa zwei Seiten kurze Erörterungen über die Vorschriften betreffend das Anzünden der Chanukka-Lichtlein — und das ist alles. An anderen Talmudstellen sind gelegentlich auch noch einige Erwähnungen über die Chanukka-Lichter zu finden. Mehr also hatten die Weisen des Talmud über, dieses gewaltige Ereignis nicht zu sagen, während beispielsweise dem »Ness-Purim[3]« ein ganzer Traktat, »Megillo«, gewidmet ist. Dieser Umstand ist naturgemäß sehr auffällig und die Talmud-Erklärer sowie die Historiker befassen sich vielfach mit den Gründen hierfür. Es wurden und werden mannigfache Erklärungen versucht, die aber nie voll befriedigen können. Die Behauptungen, die Bagatellisierung der Makkabäerkämpfe im Talmud geschah absichtlich, um die Juden nach dem Bar-Kochba-Aufstand nicht zu neuen aussichtslosen Kämpfen anzuregen, dürften kaum stichhältig sein. Ebenso wenig die Erklärung, es wäre dies aus Angst vor den Römern geschehen, um die Juden nicht, in Verdacht zu bringen, Aufstandspläne zu schmieden. Denn zumindest für den Talmud Babli[4] könnte dies nicht gelten. In Wirklichkeit dürften hierbei verschiedene Umstände mitgewirkt haben. Wie dem aber auch sein mag — eines ist sicher: die Bedeutung der Makkabäerkämpfe wurde seitens der jüdischen Lehrer doch gehörig eingeschätzt, indem zum Andenken derselben das Hallelsagen[5], ein »Al-Hanissim[6]« usw. vorgeschrieben worden ist. Im Text des »Al-Hanissim« wird übrigens nur der Kämpfe, nicht aber des Wunders mit dem Ölkrüglein gedacht, woraus schon zu ersehen ist, dass diese Kämpfe und Siege gehörig gewürdigt worden sind.
Was aber dem Chanukka-Fest einen besonderen Stempel aufdrückt, ist der Umstand, dass die Makkabäersiege eben nur wegen ihres religiösen Hintergrundes gefeiert werden. Die Annahme, die Makkabäer wären Helden im allgemeinen Sinne des Wortes gewesen, starke Männer, die mit physischer Kraft zu kämpfen und zu siegen wussten, findet eine Widerlegung in der Tatsache, dass der erste Rufer im Kampf der alte Matisjahu war, der schon gewissermaßen am Rande des Grabes stand, als er die heilige Fahne entfaltete und die Glaubenstreuen um sich sammelte. Hier siegte nicht physische Kraft, sondern der Geist. Dank diesem Geiste konnten die Wenigen die Zahlreichen, die Schwachen die Starken überwinden, denn es war zugleich ein Sieg der Reinen über die Unreinen, der Gottesbekenner über die Bösewichte. Und gerade dieser Umstand ist es, der dem Chanukka-Feste seine eigentliche historische Bedeutung gibt. Denn die Weltgeschichte hat oft die Laune, sich zu wiederholen. Würden wir die Makkabäer als physische Helden feiern, wie dies in neuester Zeit vielfach versucht wird, sie könnten uns nicht viel bedeuten, wenn wir nicht gleichfalls über ähnliche »Gibaurim[7]« verfügten. Aber die Hasmonäer waren keine »Gibaurim«, sondern werden gerade im Gegenteil als »Chaloschim[8]« bezeichnet; sie siegten, weil ihre Fahne die Anschrift trug: [9] מִי כָּמוֹךָ בָּאֵלִים ה׳ (wer gleicht Dir, Ewiger, unter den Göttern!) — wovon auch die Bezeichnung »Makkabi[10]« als Anfangsbuchstaben dieser Worte abgeleitet wird; sie siegten, weil sie im Zeichen der Heiligen Lehre in den Kampf zogen; sie siegten, weil Gott und sein Geist sie führten. Da machte es wenig aus, dass sie die Schwachen und ihre Gegner die Starken, dass sie die Wenigen und ihre Widersacher die Zahlreichen waren.
Daran sollen wir immer denken, besonders in unserer trüben Zeit, da das jüdische Volk wie- der einmal von zahlreichen und mächtigen Feinden und Hassern umgeben ist, die seine Vernichtung und Vertilgung planen und betreiben. Wenn wir wiederum den Geist der Makkabäer in uns aufnehmen, dann werden neue Zeichen und Wunder geschehen. »Lau bechajil welau bekauach, ki-im boruach![11]« Nicht mit physischer Kraft und irdischer Macht, sondern mit dem Geiste, im Zeichen des unverfälschten jüdischen Geistes werden wir siegen, heute wie immer, solange wir uns selbst und unserer heiligen Lehre treu bleiben. Bar-Kochba[12] war der Überlieferung nach ein physischer Held, der auf seine Kraft baute und so weit ging, Gott herausfordernd, zu apostrophieren und ihm zuzurufen: Ich brauche Deine Hilfe nicht; stehe nur den Feinden nicht bei! Als er im Kampfe fiel, brach die Aufstandsbewegung zusammen und der heldenmütige Versuch der Juden, das römische Joch abzuschütteln, wurde in Blut erstickt. Auch der alte Matisjahu erlebte das Ende des Kampfes nicht; auch seine Söhne, Jehuda, Simon, Elieser fielen im Kampfe, bevor der Endsieg errungen worden war — aber der Triumph des heiligen Kampfes blieb nicht aus, denn es war ein Kampf für Gott und mit Gott — und da konnte der Sieg nicht ausbleiben.לא בחיל ולא בכה, כי אם ברוח! I. Ben-Zwi
[1] מַאי חֲנוּכָּה Schabbat 21b
[2] Der Autor benutzt in diesem Artikel die deutsch-aschkenasische Aussprache der hebräischen Wörter.
[3] Dem Wunder von Purim
[4] Der ja bekanntermaßen in Babylon entstand
[5] Psalmen, die an Freudenfesten in den Gebetsritus eingefügt wurden
[6] Gebetseinschub in der Schmone-Esre und im Tischgebet zu Chanukka und Purim
[7] Helden
[8] Schwächlinge
[9] Exodus 15:11; Wer ist wie du unter den Göttern, Gott! (Übersetzung Rabbiner S.R. Hirsch)
[10] מכבי
[11] In Anlehnung an Secharja 4:6; לֹ֤א בְחַ֙יִל֙ וְלֹ֣א בְכֹ֔חַ כִּ֣י אִם־בְּרוּחִ֔י; — hier steht Beruchi und nicht Beruach
[12] Wikipedia: Simon bar Kochba (aramäisch שִׁמְעוֹן בַּר כּוֹכְבָא Schimʿōn Bar Kōchbā oder Schimʿon Bar Kochva, „Sohn des Sterns“; gestorben 135, eigentlich Schimʿon bar Kosiba) war ein jüdischer Rebell und messianischer Prätendent, der von 132 bis 135 nach Christus den Bar-Kochba-Aufstand gegen das Römische Reich unter Kaiser Hadrian führte.
Sein Vorleben liegt im Dunkeln. Beim Aufstand erzielte er zunächst erhebliche Erfolge gegen die Römer, musste sich später jedoch in die Festung Betar zurückziehen und wurde dort belagert. Bei der Erstürmung Betars durch römische Truppen kam Bar Kochba ums Leben.
