Normalerweise fällt Paraschat Schekalim auf einen Schabbat im Monat Schwat. In diesem Jahr fällt Parascha Schekalim auf Schabbat Rosch Chodesch Adar. Aber nur am Anfang und am Ende dieses Artikels nimmt Rabbiner Samson Raphael Hirsch s“l auf diesen Schabbat Bezug. Der ganze Artikel dreht sich um die Frage: „Warum in unserer Zeit so wenig für“ das Lernen der „Thora geschieht,“ und „was in früherer Zeit dafür geschah“ um sodann zu fragen, „was in unserer Zeit dafür geschehen könnte.“

Dieser Artikel wurde in der Zeitschrift Jeschurun, 4. Jhrg., Heft 5, im Februar 1858 veröffentlicht. Dr. Mendel Hirsch hat diesen Artikel auch in den Sammelband mit Schriften seines Vaters „Gesammelte Schriften“ Band 4 aufgenommen und die weiter unten aufgeführten Überschriften hinzugefügt.

Der Text wurde dem heutigen Sprachgebrauch leicht angepasst und mit Erklärungen versehen von Michael Bleiberg. Das Original finden Sie in der Universitätsbibliothek Frankfurt am Main unter:

https://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/cm/periodical/titleinfo/2932855

Warum geschieht in unserer Zeit so wenig für die Thora? Was geschah in früherer Zeit für sie? — Was könnte in unserer Zeit für sie geschehen?

….כִּי תִשָּׂא אֶת רֹאשׁ בְּנֵי יִשְׂרָאֵל

….וְנָתְנוּ אִישׁ

Willst du das Haupt der Söhne Israels erheben….

So gebe jeder …. [1]

Der Ausdruck „das Haupt erheben“, נֹשֵׂא רֹאשׁ, mit welchem das göttliche Wort das Häupterzählen in Israel bezeichnet, behielt im Mund unserer Weisen einen Anklang der ursprünglichen Bedeutung des Haupterhebens; sie meinen, diese Zählung ward Israels Haupterhebung. Wer also in Israel mitgezählt wird, darf sein Haupt erheben und mitgezählt wird in Israel nur, wer gibt, nicht wer hat und besitzt, — und zu geben und zu spenden, tätig mitzuwirken, auf dass das Heiligtum begründet und erhalten, gepflegt und benützt werde, dazu ist jeder in Israel berufen, jeder mit der verliehenen Kraft, mit den verliehenen Mitteln, und wenn jeder nach der verliehenen Kraft, nach den verliehenen Mitteln, der Reiche und Reichbegabte mit seines Hauses und seines Geistes Reichtum, der Arme und Minderbedachte mit seiner geringen Habe und in seiner Beschränktheit, wenn sie so jeder das Seinige getan, dann haben sie alle gleich gewirkt, dann wiegen sie alle gleich auf der heiligen Gotteswaage, dann hat jeder freilich nur einen Teil, nur einen halben Schekel zum großen, heiligen Werk gespendet, aber der Teil ist voll, wiegt voll auf der Waage des Heiligtums, ist das volle Maß der dem Einzelnen verliehenen Kraft, und in dieser Spende, in dieser vollen Dahingebung seiner besten Kraft an Gottes heilige Sache findet jeder die „Sühne für seine Person“ und das „unsterbliche Angedenken vor seinem Gott“ — da haben wir wieder die Aufforderung und Mahnung, die an uns Jahr für Jahr im Schewat vor dem Anfang des Adars ergeht und die wir in ihren verschiedenen, das jüdische Bewusstsein so recht eigentlich weckenden Beziehungen bereits in früheren Jahrgängen[2] betrachtet.

Wenn es aber eine Aufforderung gibt, die in Israel nie ganz überhört wurde, so ist es die, und wenn es ein Bewusstsein gibt, das Israel dreist sein Haupt erheben lässt, so ist es eben das Bewusstsein, in der allgemeinen Erfüllung dieser Anforderungen nicht ganz und gar zu kurz geblieben zu sein. Seit Israels Männer und Frauen zuerst ihr Gold und Silber, ihr Kupfer und ihre Wolle, ihr Holz und ihre Edelsteine in der Wüste zum ersten Bau des Heiligtums mit so wetteifernder Freigiebigkeit herbeigebracht, dass in zwei Tagen alles Erforderliche zum Werk in Übermaß vorhanden war und der weiteren Spende Einhalt getan werden musste, seitdem hat Israel nie aufgehört, für sein Heiligtum zu spenden. Zu geben, zu spenden, wohlzutun. Um Gottes Willen gute Werke stiften, das ward dem Juden zur zweiten Natur und darin hat sich Israel niemals verleugnet. [3] אַלּוּפֵינוּ מְסֻבָּלִים Israels Adel, Israels Große waren zu allen Zeiten die, die am meisten „trugen“ die am meisten die Lasten des Heiligtums und die Bürden des Allgemeinen auf ihre Schultern nahmen. Das: [4]וְיוֹדֻךָ כִּי תֵיטִיב לָךְ, man wird dir huldigen, weil du dir gütlich tust“, ward von jeher in Israel mit Verachtung gegeißelt, und bis zum Ärmsten hinab sagte sich jeder:

אָח לֹא פָדֹה יִפְדֶּה אִישׁ

לֹא יִתֵּן לֵאלֹקִים כָּפְרוֹ

וְיֵקַר פִּדְיוֹן נַפְשָׁם

            וְחָדַל לְעוֹלָם[5]

Wer der Bruder nicht erlösen mag,
                Der will Gott das eigene Lösegeld nicht geben
                Denen ist die Erlösung der eigenen Seele zu teuer
                Und der fällt der Vergänglichkeit anheim in Ewigkeit

Nicht durch Erwerb und Besitz, [6] וְנָתְנוּ אִישׁ כֹּפֶר נַפְשׁוֹ לַה‘, im Geben und Spenden zahlt jeder Gott das Lösegeld der eigenen Seele. Gott gibt, wer dem Armen gibt, [7] מַלְוֵה ה‘ חֹנֵן דַּל, sich gibt, wer andern gibt, und erst im Spenden wird das Erworbene recht eigen, das ward die Grundgesinnung der jüdischen Wohltätigkeit und hat die Juden zu dem Volk der Menschenfreundlichkeit und des Wohltuns gemacht, das bis auf den heutigen Tag auf diesem Feld der Humanität allen Völkern glänzend voranleuchtet.

Wahrlich auch unsere Zeit steht hierin unserer ganzen Vergangenheit nicht nach. Sie darf „ihr Haupt erheben“ und freudigen Bewusstseins auf die Ernte hinweisen, die unablässig der Genius der Menschenliebe, der Wohltätigkeit und der guten Werke in ihrer Mitte hält. Die Berichte, die von Zeit zu Zeit öffentliche Blätter über Akte der Wohltätigkeit, Stiftungen und sonstige gute Werke aus den Gemeinden der verschiedensten Gegenden bringen, zeigen, wie rege dieser Geist noch in Israel und wahrlich ist hier der Punkt, in welchem „sich Jakob seiner Kinder nicht zu schämen braucht“.

Eine Seite des spendenden Wirkens für Gottes Heiligtum ist es jedoch, die in unserer Mitte fast leer ausgeht, und für welche, eben weil sie vernachlässigt zu sein scheint, wir uns ein Wort erlauben möchten. Wo es gilt, der leidenden Menschheit beizuspringen, den von Krankheit oder Missgeschick Niedergebeugten aufzuhelfen, ebenso wo es den öffentlichen Gottesdienst zu verherrlichen gilt, Synagogen zu bauen, zu restaurieren, Chöre einzurichten und zu besolden usw. dafür finden sich auch heute noch offene Herzen und Hände. Aboda und Gmiluth Chaßadim[8], diese zweite und dritte Aufgabe des jüdischen Zusammenwirkens haben sich in unseren Gemeinden nicht zu beklagen. Aber gerade die mit Recht in erster Linie gestellte Aufgabe, das Zusammenwirken für Thora, für die Pflanzung, Pflege und Verbreitung der Kenntnis des jüdischen Gottesgesetzes sehen wir fast leer ausgehen. Und doch war eben diese Aufgabe in früherer Zeit diejenige, die vor allem die Sorge des Allgemeinen und die Hingebung des Einzelnen in Anspruch nahm, und doch ist diese Aufgabe diejenige, durch deren Lösung erst auch in der Gegenwart alles sonst Geleistete seinen rechten Wert, seinen wahren Geist und Boden gewinnen kann und deren Lösung auch in der Gegenwart die Erfüllung aller guten Hoffnungen für die Zukunft bedingt.

Wir wollen hier nicht den hohen Wert des Thorastudiums des „Lernens“, wie es die herkömmliche Ausdrucksweise nennt, des Näheren nachweisen. Wir haben schon oft zu besprechen Gelegenheit gehabt, in welch hohem Grad alles geistige und sittliche Gedeihen des jüdischen Einzel- und Gesamtlebens von der größeren oder geringeren Pflege abhängt, die das Thoralernen in unserer Mitte findet; fühlt ja ohnehin jeder Jude, dass das „Lernen“ die Seele aller Verwirklichung des Judentums sei.

Wir wollen vielmehr uns nur klarzumachen suchen, warum in unserer Zeit so wenig für die Thora geschieht, wollen uns vergegenwärtigen, was in früherer Zeit dafür geschah und uns sodann fragen, was in unserer Zeit dafür geschehen könnte.

Fragen wir, warum in unserer Zeit so wenig für die Thora geschieht, warum eine Aufforderung zu einem gemeinsamen Zusammenwirken für jeden andern Zweck auf eine willfährigere und erfolgreichere Beachtung rechnen kann als die Aufforderung zu irgendeinem Werk für die Pflege und Förderung der Thora, so müssen wir, scheint uns, unsere Zeit zuerst entschuldigen. Ein allgemeines Zusammenwirken für diesen Zweck ist in unserer Zeit nicht möglich. Als vor mehreren Jahren die Aufforderung zur Gründung einer allgemeinen jüdisch-theologischen Fakultät[9] durch alle Zeitorgane ging, da sahen wir von vornherein in diesem sicherlich gutgemeinten Projekt ein totgeborenes Vorhaben. Wo über Wert und Bedeutung des mosaischen und rabbinischen Schrifttums der Thora die Richtungen so weit wie gegenwärtig auseinanderklaffen, da ist ein allgemeines Zusammenwirken für solchen Zweck durchaus unmöglich. Wer es aufrichtig mit seiner „Richtung“ meint, kann hier der gegenüberstehenden, ohne seinen heiligsten Überzeugungen untreu zu werden, nicht die Hände reichen. Ein allgemeines jüdisch-theologisches Institut, das den beiden entgegenstehenden Richtungen der Zeit[10] zugleich genüge, ist ein Unding. Nur die gedankenloseste Gleichgültigkeit in beiden Lagern kann sich daran beteiligen. Man sehe doch nur die jüdische Literatur der Neuzeit und frage sich, ob die dort zum Teil von Rabbinern und Seminarlehrern vertretenen Ansichten auch nur halbwegs der Möglichkeit Raum geben, in einem und demselben Institut gelehrt zu werden, in welchem das jüdische Gottesgesetz als Gottesgesetz im Sinne des mosaisch-rabbinischen Judentums gelehrt werden soll, wie es seit Jahrhunderten begriffen worden und noch von allen denen begriffen wird, die derjenigen Richtung mit Aufrichtigkeit anhangen, welche die Gegenwart mit dem Parteinamen Orthodoxie zu kennzeichnen pflegt! Wenn uns ein Seminarlehrer belehrt, was uns als göttliche Überlieferung vom Sinai dastehe, sei nichts als eine aus politischen und hierarchischen Parteikämpfen hervorgegangene Ausgeburt der Zeit, und Entscheidungen, Lehren und Anordnungen der größten Meister und Tribunale unserer Lehre hätten nur subjektive Temperaments- und Interessensympathien und Antipathien zur Grundlage; wenn ein Rabbiner uns versichert, dasוְהָגִיתָ בּוֹ יוֹם וָלַיְלָה[11]  weise notwendig darauf hin, dass die Abfassung des Buches Josua nicht früher als zur Zeit des zweiten Tempels anzunehmen sei, oder doch mindestens diese Stelle eine so späte Interpolation sein müsse, da zu Moses und Josuas Zeiten ja die Lehre noch gar nicht einen so bedeutenden gesetzlichen Inhalt gehabt hätte, dass man sich mit ihr tags und nachts beschäftigen konnte; — oder wenn ein anderer Rabbiner in einem allerneuesten Erzeugnis den Text der heiligen Schriften überhaupt erst durch die verschiedenen allmählichen Entwickelungen des Judentums modifiziert hervorgehen lässt und beispielsweise überall, wo der heilige Gott עֶלְיוֹן genannt wird, folglich also auch 1. B. M. K. 14. ein Erzeugnis oder eine Interpolation aus den Zeiten des zweiten Tempels wittert, weil — ja die Hohenpriester des zweiten Tempels [12] כֹּהֵן לָא‘ עֶלְיוֹן in den öffentlichen Urkunden genannt wurden; — wenn er den Bau seiner kritischen Forschungen auf den Fels jenes unerschütterlichen historischen Faktums von dem freilich leider bis 1857 kein Sterblicher etwas geahnt aufführt, dass bei der Rückkehr aus Babel die Hegemonie in den Händen der von Zadok abstammenden Priesterfamilie war, die sich daher die „Zadokiter“ nannten, welches die Puppe des künftigen Zadducäer-Nachtfalters waren, die aber auch „Zadikim“ genannt worden sind, das bei Leibe nicht jenen herrlichen allgemeinen Begriff der Gerechten bedeutet, und nach der Lehre unserer alten Weisen alle Herrlichkeit und allen Segen ausdrücklich selbst weit über die jüdische Nationalität hinaus zum Anteil aller gerechten Menschen macht — כֹּהֲנִים לְוִיִּים וְיִשְׂרְאֵלִים לֹא נֶאֱמַר אֶלָּא צַדִּיקִים — sondern nach der Gelehrsamkeit dieses jüngsten Weisen zum beschränktesten Parteinamen einer Hierarchenzunft zusammenschrumpft und von dieser dazu ihrer Verherrlichung eingeschmuggelt ist, wo wir Ärmsten bis jetzt immer an die Gerechten in weitester Ausdehnung gedacht, — der, wie er uns die Zadikim in Saducäer, so auch Nediwim in Tyrannen, und Chaßidim in „gnädige Herren“ umwandelt und als Belege unter anderem auf Jesaias K. 57, V. 1. hinweist, wo angeblich die inzwischen entartete Zadokiten-Aristokratie von den Patrioten, den Propheten, mit Spott gegeißelt wird, wo mit edler Entrüstung, meint er, der Prophet die Volksführer schmäht, und der Herrschername des Zaddik dem Dichter zum grausamen Spott wird:

Der „Gerechte“ geht zu Grunde, und keiner nimmt’s zu Herzen,
Die „gnäd’gen Herren“ schwinden hin, und keiner merkt,
Dass ob der Bosheit schwindet der „Gerechte“! [13]

— — — wenn uns so diese soi disant[14] historisch-kritische Schule, die sich eine Historie zusammenträumt und danach das Judentum kritisiert, wenn sie uns so Bibel und Tradition in ihr gerades Gegenteil umwandelt und mit Texten und Quellen wie mit Seifenblasen spielt, können da mit dieser „Schule“ diejenigen sich zu einem gemeinschaftlichen Wirken für „Thora“ vereinigen, denen diese Thora, denen Bibel und Tradition nicht bloß Gegenstand gelehrter Forschung, denen sie noch das lebendige Gottesgesetz für ihre lebendigste Gegenwart ist, denen mit all diesem kritischen Spielwerk nicht bloß eine alte Hypothese zertrümmert und eine neue Hypothese gebaut, denen mit jeder Konjektur pro und contra Text und Quelle eines Gesetzes erschüttert wird, für dessen göttliche Echtheit sie noch in jedem Augenblick die lebendigste Gegenwart mit allen ihren Interessen einzusetzen haben? Für Zwecke der Humanität, für Werke der Zedaka und Gemiluth Cheßed[15] können sich noch heutzutage Juden aller Farbe, wie man spricht, die Hände reichen. Vorausgesetzt, dass die eine Richtung nicht so fanatisch ist, zu fordern, dass selbst die Anstalten der Armen-, Kranken-, Waisenpflege usw. den Stempel der Reform tragen und in ihren Einrichtungen und Wirksamkeiten das Gesetz verletzen müssen. Vorausgesetzt, dass sie sich noch nicht in ihrem Gewissen verletzt fühlt, wenn in den von ihr mitbegründeten Anstalten der Sabbath noch gehalten und die Speisegesetze noch beachtet werden. Wo aber der Thora, dem Studium des jüdischen Gesetzes, Pflege und Förderung werden soll, da ist heutzutage ein allgemeines Zusammenwirken unmöglich.

Umso mehr jedoch, sollten wir meinen, müsste eine jede Richtung für sich, müsste vor allem die sogenannte orthodoxe Richtung für die Pflege der Thora in ihrem Geiste und nach ihren Grundsätzen alle ihre Kräfte vereinigen. Ihr, dieser orthodoxen Richtung, steht die Thora noch in ihrem ganzen alten, heiligen Ernste da, sie muss es doch fühlen, dass nur durch eine möglichst gründliche und möglichst verbreitete Thorakenntnis sie das göttliche Gesetz zur lebendigen Wahrheit in ihrer Mitte und zum Sieg über ihre Gegner bringen könne. Dass sie nichts, dass sie im Vergleich zur Aufgabe so wenig für die Pflanzung und Pflege der Thora in ihrem Kreise tut, ist wohl sicherlich der schwerste Vorwurf, der sie in unseren verantwortungsschweren Tagen trifft.

Wohl hören wir auch hier Entschuldigungen. Die zum Teil eitle, zum Teil destruktive Richtung, die alles das genommen, was sich heutzutage unter dem Namen „jüdischer Wissenschaft“[16] geriert, schreckt zurück! Sollen wir Anstalten gründen, aus denen vielleicht ein N. oder ein N. hervorgehen wird[17]? Sollen wir junge Leute im Studium der „jüdischen Theologie“ unterstützen, die vielleicht auf Abwege geraten und die Kenntnisse, die sie sich durch unsere Mitwirkung erworben, sodann zur Verbreitung von Irrlehren und zur Untergrabung des göttlichen Heiligtums benutzen werden? Wir glauben, dass, wenn selbst diese und ähnliche Befürchtung unvermeidlich, gleichwohl nichts in der Welt uns von der Erfüllung dessen zurückhalten dürfte, was uns als klar ausgesprochene Pflicht, und zwar als die erste Pflicht unter allen unseren Pflichten dasteht: [18] תַּלְמוּד תּוֹרָה כְּנֶגֶד כֻּלָּם.

Wir glauben, dass, wenn irgendwo, hier dasselbe gilt, was unsere Weisen als Ausspruch Jesaias an Hiskija berichtet: [19]בַּהֲדֵי כַּבְשֵׁי דְרַחֲמָנָא לְמָה לָךְ? מַאי דְּמִפַּקְּדַתְּ אִיבְּעִי לָךְ לְמֶעְבַּד, וּמָה דְנִיחָא קַמֵּיהּ קוּדְשָׁא בְּרִיךְ הוּא — לַעֲבֵיד. „Was hast du Gottes verhüllten Bestimmungen vorzugreifen? Was dir geboten ist, müsstest du erfüllen und was Gott gefällt, mag er vollbringen.“

Wir glauben, dass da, wo ohnehin die ganze Strömung der Zeit der Unkenntnis und dem Abfall in die Hände eilt, zehn Jünglinge, die einmal als Männer vielleicht die erworbene Kenntnis auf der Seite des Abfalls missbrauchen, und für die allerdings erwünschter gewesen wäre, sie hätten nie in Bibel und Talmud geblickt, nicht halb soviel wiegen, als ein Jüngling aus dieser Strömung gerettet, als ein Jüngling durch gründliche Kenntnis zum Bewusstsein der Wahrheit und zur tat- und opferfreudigen Begeisterung für dieselbe gebracht.

Wir glauben, dass, wenn selbst bei einer tüchtigen und möglichst verbreiteten Pflege der Thorakenntnis die Befürchtung eines immer wachsenden Abfalls nicht ganz beseitigt werden kann, diese Gefahr doppelt und dreifach droht, wenn durch noch fernere Vernachlässigung der Thora die Unwissenheit noch im Zunehmen gelassen und damit der Verführung und Täuschung ein immer freieres Feld geöffnet wird. Wird ja bald im Volk keiner mehr sein, der den Spiegelfechtereien eitler und oberflächlicher Gelehrten auf den Grund zu schauen vermag und wird ja bald alles geglaubt, was die Propaganda des Abfalls von ihrem kritischen Dreifuß herab unter Zujauchzen unwissender Zunftgenossen als neuentdeckte „historische“ Wahrheit verkündet. Wir sagen mit R. Akiba:

 [20]וּמָה בִּמְקוֹם חִיּוּתֵנוּ, אָנוּ מִתְיָרְאִין, בִּמְקוֹם מִיתָתֵנוּ — עַל אַחַת כַּמָּה וְכַמָּה. אַף אֲנַחְנוּ עַכְשָׁיו שֶׁאָנוּ יוֹשְׁבִים וְעוֹסְקִים בַּתּוֹרָה, שֶׁכָּתוּב בָּהּ: ״כִּי הוּא חַיֶּיךָ וְאֹרֶךְ יָמֶיךָ״, כָּךְ, אִם אָנוּ הוֹלְכִים וּמְבַטְּלִים מִמֶּנָּה — עַל אַחַת כַּמָּה וְכַמָּה

Wir glauben, dass, wenn jene Befürchtungen wahr sind — und wer kann es leugnen — ihre Beseitigung selber ein Gegenstand unserer ernsten Sorge für die Pflege der Thorakenntnis sein müsste. Denn nicht dadurch begegnet man der Gefahr, wenn man ängstlich die Augen zudrückt und sich und das Gefährdete dem Ungefähr überlässt, sondern nur dann schwindet die Gefahr oder wird doch um ein bedeutendes geringer, wenn man die Gefahr recht fest ins Auge fasst und alles aufbietet, sie auf ihrem eigenen Boden zu bekämpfen.

Wir glauben endlich, dass das Nächste, was zuerst in unserer gegenwärtigen Sachlage nottut, der Art ist, dass von jenen Befürchtungen nur erst in zweiter Linie die Rede sein könne und wenn dies eine geschehe, recht geschehe, die Pflege der Thorakenntnis wieder einen neuen und zwar einen solchen Boden in unserer Mitte gewinnen und von innen heraus ein solches Thoraleben sich bei uns entwickeln würde, dass auf Grund eines solchen Bodens und inmitten eines solchen Lebens jene Befürchtungen von selbst auf mehr als die Hälfte zusammen schwänden.

Sehen wir jedoch zuerst, was in früherer Zeit für die Pflege der Thora geschah.

Nicht gerade eben vielen künstlichen Veranstaltungen begegnen wir in früherer Zeit für die Pflege der Thora. Eigentlich fundierte und festgeregelte Institute, wie wir sie uns heutzutage unter dem Begriff theologischer Seminarien und Akademien denken, gab es wenige, und die wenigen, die es gab, waren nicht eben die besonders hervorragenden Pflanzstätten der Lehre. Nicht auf Anstalten, auf Persönlichkeiten waren die lernbegierigen Jünglinge hingewiesen und nicht Fundationen[21] und Konvikte[22], sondern unterstützende Vereine und Individuen schafften den Unterhalt der Lehrenden und Lernenden. Jeder „Gelehrte“, ob angestellt oder nicht, erkannte den Unterricht, die Mitteilung seines Wissens als erste Pflicht, und da die Wissenschaft der Thora, wie keine andere sonst, schon an sich auf stete, lebendige Mitteilung, auf Diskussion und Ideenaustausch angewiesen ist, so erzeugte schon ohnehin die Pflicht des unablässigen Weiterstudiums selbst für den Höchstbegabten das Bedürfnis, in steter Gemeinschaft mit Genossen oder Schülern weiter zu „lernen“; da ferner ebenso es für jeden Juden als heilige, an keinen Stand und kein Alter gebundene Pflicht erkannt wurde, sein Leben lang in der Kenntnis des göttlichen Gesetzes fortzuschreiten, somit nie aufzuhören zu lernen und selbst Geschäftsleute, wie nur immer sie konnten, sich „bestimmte Stunden“ fürs „Lernen“ reservierten, so war jeder Jude darauf hingewiesen, sich fürs „Lernen“ an irgend einen Genossen oder Lehrer anzuschließen; also dass man im großen Ganzen fast sagen konnte: die ganze jüdische Nation bestand aus Lehrern und Schülern.

Wie aber jeder Jude es als seine Pflicht erkannte, zu lernen und wenn er dazu befähigt war und dazu aufgefordert wurde — zu lehren, so erkannte es auch jeder als seine Pflicht, Lehrende und Lernende, die keinen anderen Unterhalt hatten, mit Existenzmitteln zu versehen, ja, es war für die möglichst vollkommene Blüte der Thorawissenschaft als notwendig und somit als höchst verdienstlich erkannt, dazu beizutragen, dass womöglich überall tüchtige Männer wären, die von anderen Beschäftigungen frei, sich ganz dem Studium des göttlichen Gesetzes lehrend und lernend hingeben konnten.

Insbesondere war das „Pflanzen und Pflegen“ der Thorakenntnis, das Lehren und Lernen der Thora die vorzüglichste Aufgabe der Rabbinen, es stand unter ihren amtlichen Pflichten obenan und gehörte dementsprechend die Unterhaltung einer Anzahl bei den Rabbinen lernender Schüler zu den ordentlichen Pflichten der Gemeinden; [23] ת’ת‘ bildete in allen Gemeindestatuten die erste Rubrik.

Am entwickelsten vielleicht — soweit unsere Kunde reicht — war dieses Verhältnis in Mähren. Dort war jede Gemeinde, je nach ihrer Größe, verpflichtet, entweder selbst einen Rabbiner zur Pflege der Thorakenntnis anzustellen und einer entsprechenden, und nach ihrer Größe normierten Anzahl von Schülern Unterhalt zu gewähren, oder, wenn sie ihrer beschränkten Mitgliederzahl nach zu klein war, selbst eine Jeschiwa[24] zu unterhalten, so hatte sie der nächst größeren und zur Haltung einer solchen verpflichteten Gemeinde einen entsprechenden jährlichen Beitrag zum Unterhalt der Schüler zu zahlen. An der Spitze des Ganzen stand der Landrabbiner, der nicht nur selbst als Lehrer inmitten eines großen Schülerkreises zu wirken hatte, sondern auch die Studien des ganzen Landes leitete.

Alljährlich hatte der Landrabbiner zu bestimmen, mit welchem Traktat sich überall die Rabbiner und Schüler in diesem Jahr, oder Halbjahr zu beschäftigen hatten und musste er frühzeitig dafür sorgen, dass der zu lernende Traktat in hinreichender Anzahl einzelner Exemplare vorhanden war, respektive von der allgemeinen jüdischen Landeskasse angeschafft oder gedruckt wurde.

In größerem oder geringerem Maße wiederholten sich ähnliche Bestrebungen fast überall und waren daraus vorzüglich drei Arten von Veranstaltungen für die Pflege der Thora, außer den dem Unterricht der Jugend bestimmten Schulen, hervorgegangen: Jeschiwot, Chewrot und Bate Midrasch. Jeschiwot, wo sich erwachsene Jünglinge und junge Männer, die sich noch fast ausschließlich mit dem „Lernen“ beschäftigten, als Schüler um einen besonderen Meister versammelten. Chewrot, wo meistenteils Geschäftsleute zu bestimmten Zeiten zum gemeinschaftlichen „Lernen“ zusammen kamen, kollegialisch abwechselnd der Reihe nach vortrugen. Bate Midrasch, Lokale, die mit vollständigem Bücherapparat, nachts mit Licht, im Winter mit Heizung versehen, tags und nachts offenstanden und von jedem, ohne Unterschied und unentgeltlich, benutzt werden konnten, um dort dem Studium des göttlichen Gesetzes, dem „Lernen“, zu obliegen.

Alles das waren Veranstaltungen, die größtenteils von dem allgemeinsten Zusammenwirken und dem regen religiösen Interesse getragen wurden, das dem Allgemeinen für die Pflege der Thora innewohnte. Wohl gab es auch Stiftungen und Vermächtnisse in nicht geringer Zahl und von nicht geringer Bedeutung, und ein Umblick unter den noch vorhandenen zeigt, wie früher der religiöse Sinn und die Freigebigkeit für gute Werke einzelne solche Summen spenden und so bedeutende Stiftungen für die Pflege der Thora gründen ließ, wie jetzt zu solchem Zweck schwerlich durch den Aufruf an die allgemeinste Beteiligung zu erlangen sind. Allein alle diese Stiftungen und Vermächtnisse schlossen sich nur dem an, was bereits seinem Wesen nach durch das allgemeine Interesse getragen war, half dies nur leichter und besser erzielen, und vielleicht nur wenige Stiftungen und Vermächtnisse waren es, die als bedeutende Träger des Thorastudiums in einem Kreis hervorragten.

Was wäre nun in unserer Zeit unter unseren, inzwischen so ganz veränderten Zuständen für die Pflege der Thora zu tun? Das, was in früherer Zeit nur von untergeordneter Bedeutung und mehr eine Folge als eine Begründung weitverbreiteter Thorapflege war, die Pflege der Thora in besonderen, dafür gegründeten Anstalten, scheinen die Zustände unserer Zeit gebieterisch zu fordern. Das allgemeine Interesse ist geschwunden, das jüdische Volk trägt die Thorakunde nicht mehr; — die mit Meisterschaft zu lehren befähigten Persönlichkeiten sind spärlich gesät, noch spärlicher die, die zugleich die Zeit und ihre der Thora feindlichen Bestrebungen verstehen und die Thorajünger zur richtigen Würdigung derselben auszurüsten imstande sind, sie wollen gesucht, gesammelt, vereinigt sein; — es wollen Veranstaltungen getroffen sein, dass sich um die wenigen Meister von überallher die überall nur in geringer Anzahl vorhandenen lernbegierigen Jünglinge vereinigt sammeln können, — ja es wollen vor allem Veranstaltungen getroffen sein, dass die frühere Jugend die Elemente der Thorakunde gründlich überwinde, damit sie Lust am Gegenstand und Fähigkeit zum Fortschritt gewinne, denn, wie das rabbinische Wort lautet, „wenn keine Lämmer sind, wo sollen die Widder herkommen?“ — Alles dies spricht der Errichtung von Thora-Studien-Anstalten mit gebieterischer Notwendigkeit das Wort. Wollen wir aber warten, bis der religiöse Sinn für die Pflege der Kunde des göttlichen Gesetzes so allgemein rege sein wird, dass die notwendigen Anstalten durch eine allgemeine Beteiligung werde hergestellt werden können, dann werden wir solange gewartet haben, bis die Anstalten schon viel von ihrer Notwendigkeit verloren haben. Ist erst das Interesse für das „Lernen“ wieder in der Gesamtheit in aller Kraft erwacht, dann, ja, dann — würde das Studium des göttlichen Gesetzes wieder einen solchen Boden gewonnen haben, aus welchem sich naturwüchsig eine solche Pflege desselben entwickelte, dass besonders geregelte Anstalten dafür noch immer höchst heilsam sich erweisen, jedoch nicht mehr wie in der Gegenwart als unumgängliche Bedingung dastehen würden. So lange sollten wir daher nicht warten müssen, sollten die Errichtung der so dringend notwendigen Anstalten nicht von dem Zusammenwirken einer größeren und kleineren Gesamtheit abhängig zu machen haben. Hoffen wir, dass es noch einzelne, reichbegüterte, jüdisch gesinnte Männer unter uns gibt, denen der Bruch der Zeiten zu Herzen geht, die es begreifen, wozu Gott den Segen des Reichtums in ihre Hand gelegt, und es als ihre Pflicht erkennen, mit ihrem Reichtum den einzigen, heiligen, gottgefälligen Zweck zu versorgen, der, wenn nicht von dem Herzen begüterter Einzelner ergriffen, vergebens von Haus zu Haus betteln gehen wird. Welche Zwecke sie sonst mit ihrem Reichtum versorgen möchten, diese würden doch nicht in Israel unversorgt bleiben, wenn auch nicht reiche Fonds und große Kapitalien dafür von einzelnen Reichen bereit gesetzt würden. Was der eine Reiche nicht tut, werden hundert Bemittelte darum doch nicht ungeschehen lassen. Kein Werk der Humanität, keine Versorgung der Notleidenden, der Armen und Kranken, der Witwen und Waisen braucht im jüdischen Kreis erst auf Entschlüsse großherziger Reichen und auf die Begründung reichdotierter Anstalten zu warten. Wo die Not ruft, da treten Juden zusammen und helfen. Nur die Thora, diese geistige Mutter all unserer Humanität und all unserer noch zu erhoffenden Veredlung und Verherrlichung, liegt sackumhüllt, darbend im Winkel, wagt es gar nicht mehr, ihre bittenden Hände zu ihren Söhnen auszustrecken, ihren Söhnen, die sie gar nicht mehr zu kennen scheinen, die ihre Seufzer nicht hören, die ihre Schmerzen nicht begreifen. —

Und dieser geistigen Mutter Israels, dieser unserer einzigen Perle, dieses Gutes aller Güter, ohne das alle unsere anderen Errungenschaften Staub und Asche sind, dieses Quells all unseres künftigen Heiles, dieser einzigen, uns von Gott „angetrauten Braut“ soll sich kein Reicher erbarmen? Soll kein Reicher das als ein wahrhaftiges Werk der Rettung der Thora in unserer Zeit zu stiften sich bewogen fühlen, was in früherer Zeit so mancher rein nur als ein Werk der Verherrlichung der Thora zu vollbringen sich bewogen fühlte?

Hoffen wir.

Trete man gleichwohl im großen Allgemeinen mit der Frage an uns heran: was können wir tun für die Thora? Was tun, auf dass wir auch für dieses größte und heiligste Werk der jüdischen Aufgabe unseren Schekel voll und gewichtig zahlen, unsere Pflicht voll und wirksam lösen? So wäre gleichwohl unsere Antwort nicht zuerst: Anstalten gründen! Unsere erste Antwort wäre: Lernen! Erst selber wieder „lernen“, erst selbst wieder [25] קוֹבֵעַ עִתִּים לַתּוֹרָה sein, erst selbst wieder „Lernen“, Thoralernen, als einen nie ganz zu beseitigenden, integrierenden Teil des täglichen Tagewerkes aufnehmen, erst wieder, und wäre es ein kleines, verschwindendes, aber bestimmtes Zeitteilchen dem täglichen Geschäftsleben abbrechen und der Thora weihen, darin, in der Spende der eigenen Zeit erst den „Schekel“ betätigen, selbst lernen, Genossen anregen zum Lernen, dass der Sinn erst wieder lebendig werde, Tag für Tag aus dem Born der göttlichen Gesetzeskunde zu schöpfen, erst selbst wieder lernen, ehe man daran denkt, Anstalten zu gründen, damit andere lernen, — das wäre der Gedanke, den wir anregen, den wir zur Verwirklichung bringen möchten, wenn unserer schwachen Stimme eine Kraft der Geltung inne wohnen würde. Es nützt zuletzt doch alles nichts. Die besten Anstalten werden nicht aufblühen, Lehrer und Schüler werden verkümmern, werden auf Abwege geraten, so nicht die Atmosphäre, in welcher sie gedeihen und wachsen sollen, so nicht der allgemeine Sinn unseres Volkes wieder der Kenntnis der Thora sich zugewendet.

Fehlt dieser Sinn, so werden unsere Anstalten „Seminarien“ werden, nur von Jünglingen besucht, die der einstige Broterwerb zum „Studium der jüdischen Theologie“ und deshalb ins Seminar geführt, es werden geistliche Abrichtungsanstalten werden, aber keine „Tharbizoth“, keine Pflanz- und Pflegestätten des lebendigen Geistes der Thora für Israel, das Gottesvolk.

Fehlt dieser Sinn, so wird die frische Lebensluft fehlen, in welcher solche Anstalten allein gedeihen und vor Verkümmerung in einer künstlich erzeugten Treibhausatmosphäre geschützt werden. Es fehlt eine „jüdische öffentliche Meinung“, deren Beifall die Bestrebungen der Meister und Jünger zeitigt und deren Tadel Kontrolle übt und Wache hält, dass nicht Ausgeburten hirnverbrannter Gelehrsamkeit und Spielpuppen subjektiver Hypothesen statt Israels lebendige Gottesthora den Jüngern unserer Zukunft zur geistigen Nahrung gereicht werden.

Fehlt dieser Sinn, so fehlt auch jedes Band, das den Jünger der Thora mit der Gesellschaft verknüpft, er steht isoliert mit seinem Wissen, außer den Hörsälen des Seminars und dem Studierstübchen seiner bescheidenen Wohnung haben seine Studien keine Geltung, gibt es für die geistigen Errungenschaften seiner Arbeit kein Ohr und kein Bedürfnis, es fehlt die [26]  כָּבֹוד הַתּוֹרָה, die Achtung und Wertschätzung der Thorakenntnis, die dem Jünger der Thora in früherer Zeit eine geachtete Stellung in der Gesellschaft und die Möglichkeit der Existenz während seiner Studienzeit bereitete.

Darum „lernen“ wir! Lasst uns lernen, wenn wir wollen, dass andere lernen sollen, lasst uns, wie mit allem Guten, so auch in Erfüllung dieser ersten jüdischen Pflicht mit uns selber beginnen. Lasst uns durch unser eigenes Beispiel den Sinn für die Beschäftigung mit der göttlichen Gesetzeslehre bei anderen wecken. Gehe jeder, der es ernst mit der Thora meint, in gutem Beispiel voran! Denke jeder, wenn wir einst jenseits kommen, wird freilich die erste Frage sein: נָשָׂאתָ וְנָתַתָּ בֶּאֱמוּנָה? Warst du redlich im Handel und Wandel? Aber die zweite wird sogleich lauten: קָבַעְתָּ עִתִּים לַתּוֹרָה?  Hast du bestimmte Stunden der Thora geweiht? Geben wir von dem, was in unseren Tagen noch wertvoller ist als Geld, geben wir von unserer „Zeit“ den der Thora gebührenden Schekel, gebe ihn jeder, so wird von innen heraus wieder unser „Baum des Lebens“ aufblühen. Das „Lernen“ wird das Bedürfnis nach Lehrern erzeugen, und dieses Bedürfnis wird, wie überall so auch hier, die Mittel zur Befriedigung, die gewünschte Abhilfe bringen. Das allgemeine Lernen wird Lehrer suchen, Lehrer schaffen, Lehrer erhalten, es werden wiederum Meister emportauchen, um die sich lernbegierige Jünger scharen, das Bedürfnis selber wird Meister und Jünger tragen, und jenen Wetteifer und jene Begeisterung in der Brust unseres Volkes wecken, die allein die geistige Atmosphäre bilden, in welcher unser „Baum des Lebens“ gedeiht.

———————————————————————————————————————————————-

Anmerkung zu Fußnote 13

הַצַּדִּ֣יק אָבָ֔ד וְאֵ֥ין אִ֖ישׁ שָׂ֣ם עַל־לֵ֑ב וְאַנְשֵׁי־חֶ֤סֶד נֶאֱסָפִים֙ בְּאֵ֣ין מֵבִ֔ין כִּֽי־מִפְּנֵ֥י הָרָעָ֖ה נֶאֱסַ֥ף הַצַּדִּֽיק׃

Der Gerechte geht verloren, und keiner nimmt sich´s zu Herzen, und die Männer hingegebener Liebe werden eingetan (dahingerafft), ohne dass jemand zu der Einsicht kommt, dass wegen des hereinbrechenden Unglücks der Gerechte eingetan wurde.

Worauf Rabbiner S. R. Hirsch anspielt sind die Worte הַצַּדִּ֣יק und אַנְשֵׁי־חֶ֤סֶד. Weder ist hier der Gerechte in Anführungszeichen zu setzen noch die „Männer hingebender Liebe“ als die „gnäd´gen Herren“ zu bezeichnen.


[1] Exodus 30:12

[2] Der Zeitschrift „Jeschurun“

[3] Psalm 144:14; in der Übersetzung von Rabbiner Hirsch bedeutet אַלּוּפֵינוּ מְסֻבָּלִים „Unsere Führer (sind) meistbelastet;“ 

[4] Psalm 49:19

[5] Psalm 49:8-9

[6] Exodus 30:12; “so gebe jeder für sich ein Sühngeld dem Herrn,“ (Übersetzung Rabbiner Dr. S. Bernfeld)

[7] Sprüche Salomons 19:17; „Es leiht dem Ewigen, wer gegen dem Armen mildtätig ist.“ (Übersetzung Leopold Zunz)

[8] Gottes-Dienst und Wohltätigkeit

[9] Wikipedia: “Das Jüdisch-Theologische Seminar in Breslau, eigentlich Jüdisch-Theologisches Seminar Fraenckel’sche Stiftung, war ein von 1854 bis 1938 bestehendes Rabbiner- und Lehrerseminar in Breslau. Das auf Grund einer testamentarischen Verfügung des Breslauer jüdischen Geschäftsmannes Jonas Fraenckel (1773–1846) errichtete Seminar wurde am 10. August 1854 eröffnet und entwickelte sich zu einer der wichtigsten jüdischen Bildungseinrichtungen in Europa bis zur Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland, die das Seminar 1938 schlossen.” Im Nachfolgenden geraten die Dozenten dieser Lehranstalt unter „Beschuß“. Es wird den Reformern vor allem zur Last gelegt, die Aussagen der Thora falsch zu interpretieren.

[10] dem Reformjudentum und der Orthodoxie

[11] Jesua 1:8; „du sollst sinnen darüber Tag und Nacht“(Übersetzung Rabbiner Dr. S. Bernfeld)

[12] Priester des Höchsten Gottes

[13] Am Ende dieses Artikel habe ich den hebräischen Text mit der Übersetzung von Julius Hirsch diese spöttischen Übersetzung gegenübergestellt

[14] angeblich, sogenannt

[15] der freiwilligen Abgaben in Betreff der Mildtätigkeit

[16] Wikipedia: Die Wissenschaft des Judentums war eine der einflussreichsten intellektuellen Strömungen des deutschsprachigen Judentums. Entstanden im Kontext der Emanzipation begründete sie das moderne wissenschaftliche Studium des Judentums und war wesentlicher Faktor der innerjüdischen Reformbewegungen im 19. Jahrhundert. Mit der Einführung der historischen Kritik übersetzte sie die traditionelle jüdische Gelehrsamkeit in die Denk- und Wahrnehmungskategorien moderner (Geistes)wissenschaften. Zu ihren Vertretern zählten Wilhelm Bacher, Leo Baeck, Abraham Berliner, Ismar Elbogen, Zacharias Frankel, Aron Freimann, Eduard Gans, Abraham Geiger, Heinrich Graetz, Heinrich Heine, David Hoffmann, Manuel Joël, Isaak Markus Jost, David Kaufmann, Moritz Steinschneider und Leopold Zunz. Zu den wenigen Wissenschaftlerinnen zählte die Historikerin Selma Stern.

[17] ein N. oder ein N.; ich weiß nicht was er meint: Vielleicht ein Niemand und ein Nichts.

[18] Mischna Pea 1:1; „Das Studium der Thora übertrifft alles.“ Denn nur durch das Studium der Thora kommt man zur Erfüllung der Gebote.

[19] Berachot 10a

[20] Berachot 61b: Ein Fuchs ging einst am Ufer eines Flusses, und als er Fische sich von Ort zu Ort versammeln sah, sprach er zu ihnen: Wovor flüchtet ihr euch? Sie erwiderten: Vor den Netzen, die die Menschenkinder nach uns auswerfen. Da sprach er zu ihnen: So möge es euch belieben aufs Land zu kommen, und wir, ich und ihr, wollen beisammen wohnen, wie einst meine Vorfahren mit euren Vorfahren beisammen gewohnt haben. Darauf erwiderten ihm jene: Bist du es, von dem man sagt, er sei der klügste unter den Tieren? Du bist nicht klug, sondern dumm; wenn wir schon in der Stätte unseres Lebens fürchten, um wieviel mehr in der Stätte unseres Todes! So auch wir; wenn es schon jetzt so ist, wo wir sitzen und uns mit der Tora befassen, von der es heißt: denn sie ist dein Leben und die Verlängerung deiner Tage, um wieviel mehr erst, wenn wir gehen und uns ihr entziehen!

[21] Wikipedia: eine Einrichtung, welche mit Hilfe eines Vermögens einen vom Stifter festgelegten Zweck verfolgt

[22] Stiftung

[23] Talmud-Thora-lernen-und lehren

[24] religiöse Lehranstalt für junge Juden

[25] Jemand sein, der sich Zeiten für das Lernen der Thora festlegt

[26] Ehre vor der Thora

  • Beitrags-Kategorie:Monatsblatt