Von Michael Bleiberg

Wer unsere Zeitschrift Jeschurun.online zwischenzeitlich kennengelernt hat, weiß, dass auf der Titelseite der Zeitschrift sich ein Zitat von Rabbiner Hirsch befindet, das für viele provokant erscheinen mag, denn es heißt dort: „Das Judentum ist keine Religion – das Judentum ist kein Zubehör zum Leben, Jude sein ist kein Teil der Lebensaufgabe, Judentum umfasst das ganze Leben, Jude sein ist die Summe unserer Lebensaufgabe, … – ein ganzes vom Gottesgedanken getragenes, dem Willen Gottes gemäß vollendetes Leben – das heißt Judentum.“

Rabbiner Hirsch betont immer wieder in seinen Schriften, dass das Hauptaugenmerk des Juden, nicht so sehr auf dem Besuch der Synagogen ausgerichtet sein sollte, zu dem es hierzulande bereits verkommen ist, sondern vielmehr auf der jüdischen Erziehung der Kinder beruhen muss. Und diese beginnt in den eigenen vier Wänden. Nur, wer die Gebote Gottes auch sichtbar für seine Familie und andere praktiziert, sein Haus jüdisch hält, hat eine Chance, die Gebote auch seinen Kindern weiter zu überliefern. Wer es mit der Einhaltung der Gebote nicht so ernst meint, braucht sich nicht zu wundern, wenn seine Kinder es noch weniger ernst meinen mit der Einhaltung der Gebote.

So wird u.a. im Zusammenhang mit dem Fahrverbot am Schabbat, oft ein irriges Beispiel genannt: Zwei Familien wohnen weit ab von der Synagoge. Die eine bricht das Fahrverbot am Schabbat und fährt mit ihren Kindern jeden Schabbat und an Feiertagen in die Synagoge. Die andere Familie bleibt am Schabbat und Feiertagen zu Hause, um den Schabbat und die Feiertage nicht zu entweihen. Die Kinder der ersten Familie bekommen viel an Jüdischkeit mit – heißt es, während die Kinder der anderen Familie nichts vom Judentum mitbekommen. Daraus soll geschlossen werden, dass es besser ist, am Schabbat in die Synagoge zu fahren, als den Schabbat allein in den eigenen vier Wänden zu verbringen.

Ich muss eingestehen, dass ich lange Zeit der Meinung war, dass die erstgenannte Familie wohl recht handelt, wenn sie am Schabbat und an Feiertagen in die Synagoge fährt, der Kinder wegen. Ich bin, wie man so schön sagt, dieser Geschichte auf dem Leim gegangen. Wenn nämlich die zweite Familie am Schabbat und Feiertagen nicht in die Synagoge fährt, um den Schabbat und die Feiertage nicht zu entweihen, dann handelt es sich ja wohl um eine fromme Familie, die nicht nur die Schabbat Gebote hält, sondern wohl auch alle anderen Gebote. Diese Familie wird es wohl durchaus ertragen, den Schabbat und die Feiertage ohne Synagoge auszukommen, da sie ja an den anderen Tagen der Woche die Synagoge besuchen. Sie werden zu Hause jederzeit ihr Judentum praktizieren, besonders an Schabbat und Feiertagen, und können somit der Synagoge entbehren, während die erste Familie lediglich hin und wieder etwas vom Judentum mitbekommt und wohl kaum von sich behaupten kann, „gläubige Juden“ zu sein.

So wird auch behauptet, der Jude müsse sich der Zeit anpassen. Er könne sich dem Zeitgeist nicht verschließen. Die Zeiten ändern sich, also muss auch der Jude sich den Zeiten entsprechen anpassen. Vor allem aber, müsse der Jude die Lebensweise seines jeweiligen Gastlandes akzeptieren, und sich ihren Gepflogenheiten anpassen. – Nun, hätte Josef die Gepflogenheiten der Ägypter angenommen, gäbe es heute kein Judentum. Hätte Daniel, die Gepflogenheiten im Königspalast angenommen, wäre er nicht in die Löwengrube geworfen worden. Hätten unsere Vorfahren in Spanien, die Gepflogenheiten des Landes übernommen, sie wären nicht vertrieben worden. Und hätten unsere Vorfahren, getreulich nach den Geboten Gottes gelebt, der Tempel wäre nicht zerstört worden.

Dem hält Rabbiner Hirsch entgegen: „Von Anfang an hat Gott das Judentum und somit seine Bekenner in Gegensatz zu den Zeiten gesetzt. Jahrtausende lang war das Judentum der einzige Protest gegen eine ganze heidnische Welt, und wenn dieser Gegensatz von Jahrhundert zu Jahrhundert abgenommen, so war dies nicht, weil das Judentum sich den nichtjüdischen Zeitverhältnissen gemäß gestaltete, sondern weil immer mehr und mehr Keime des jüdischen Geistes, Funken vom jüdischen Gottesworte im Schoße der nichtjüdischen Welt aufgegangen, weil immer mehr und mehr das jüdische Gotteswort seine stille Mission auf Erden erfüllt.“(Der Jude und seine Zeit, Gesammelte Schriften, Bd.1)

Mit Anlass dieser Zeilen ist ein Bericht aus Israel vom 19. Cheschwan 5782 – 25.10.2021, dass die neue Regierung in Israel, den reformierten und konservativen Religionsgemeinschaften in Israel einen Betrag von 40 Millionen NIS zukommen lassen will, damit diese ihre verschiedenen Projekte finanzieren können.

Nun, könnte man meinen, das ist doch nur gerecht, werden doch die orthodoxen Gruppierungen in Israel ja bereits seit der Gründung des Staates Israel alimentiert. Warum sollen nicht auch andere religiöse Strömungen finanzielle Unterstützung bekommen? Eben darum, weil sie religiöse Strömungen sind. Weil sie den „Zeitgeist“ ins Judentum einführen und sich ihrer religiösen Verfehlungen nicht bewusst sind oder sein wollen. „Rabbiner“ die gleichgeschlechtliche Paare trauen, „Rabbiner“ die Paare unterschiedlicher Religionszugehörigkeit trauen, „Rabbiner“, die ihren Gemeinden predigen, die Einhaltung der Speisegesetze, der Nidahzeiten, der Schabbatgebote alles nicht so ernst zu nehmen, sollen eine staatliche Alimentierung erhalten, damit sie ihr Unwesen noch weiter unter den wenigen Juden treiben können, um somit die Assimilation weiter voranzutreiben.

Für diese „Rabbinen“ ist das Judentum tatsächlich bereits zu einer Religion verkommen. Die Angehörigen dieser Religionsgruppe bestimmen die „Spielregeln“ innerhalb ihrer Gemeinschaft selbst. Wie sie leben wollen, was sie essen wollen, wie sie sich kleiden wollen, und wen sie anbeten wollen und wann.

Rabbiner Hirsch schreibt in seinen Betrachtungen zum jüdischen Jahr, Monat Siwan (Gesammelte Schriften, Band 1): „Denn „Religion“ nennt man ja jede Vorstellung, die Menschen sich von der Gottheit und von ihren Beziehungen zu dieser Gottheit gebildet haben und bilden. Die „Religionen“ der Menschen sind daher menschliche Produkte, Erzeugnisse des menschlichen Geistes und Gemütes, und darum gibt es eine Genesis, eine Entwicklungsgeschichte der Religion und Religionen, wie es eine Geschichte der Sprachen, der Künste und Wissenschaften gibt. Die Religion eines Volkes steigt und fällt mit den übrigen Kulturstufen desselben. Die „Religion“ bildet selbst nur einen Teil dieser Kultur, ja ist ganz eigentlich bedingt durch dieselbe. Je vernünftiger, je veredelter die Menschen, umso vernünftiger und edler wird ihre Vorstellung von der Gottheit und ihren Beziehungen zu derselben sein. Keine „Religion“ kann daher bei ihrem Entstehen das Kulturmaß des Volkes überragen, unter welchen sie entsteht, keine „Religion“ in ihrem Beginn im vollendeten Widerspruch mit den Vorstellungen, Neigungen und Lebensansichten dieses Volkes stehen, keine „Religion“ die Geister und Gemüter dieses Volkes erst zu sich erziehen; denn sie ist ja eben nur Gewächs aus dem Boden seines Geistes und Gemütes; sie ist ja nur der nur der Kulturstufe des Volkes bedingt, und wird mit dessen Fort- und Rückschritten Schritt zu halten haben.“

So funktioniert aber das Judentum nicht! Und deshalb ist es keine Religion! In den Gesammelten Schriften, Band 2, zum Monat Aw schreibt Rabbiner Hirsch: „Eben, weil das Judentum ein Leben gestaltendes Gesetz ist, tritt der Gegensatz aller Wege zu Tage. Wäre es ein „Glaube“, ein System des Meinens und Dafürhaltens, ein Bekenntnis, man könnte die Erscheinung des Glaubens in die Kirchen verweisen; ein gegenseitiger Kompromiss bräuchte nur religiöse Gegenstände aus der Unterhaltung zu bannen, und in dem außerkirchlichen Leben wäre alle „Glaubensdifferenz“ verwischt; der bloße Anstand genügte, jeden mit seinem Gewissen in das stille Zwiegespräch mit Gott oder in die Isolierung der Kirchen zu weisen.“

Rabbiner Hirsch fährt fort: „Allein das Judentum ist Gesetz, manifestiert sich in Tat, in Leben. Das gesetztreue Leben ist ein anderes, als das dem Gesetz entfremdete. Tat und Leben lassen sich nicht verheimlichen, nicht verschleiern, nicht in die beschauliche Stille, wo nur Gott Zeuge ist, bannen.“

Zum Zeitgeist, den sich die Juden doch nach Vorstellung der modernen Rabbinen anpassen sollten,  merkt Rabbiner Hirsch an: „Dann, dann – wenn die Zeiten gottgemäß geworden, wird auch das Judentum zeitgemäß sein.“ Und an anderer Stelle lässt er uns wissen, dass nicht der Jude sich der Zeit anzupassen hätte, sondern dass mehr und mehr jüdische Gedanken und Lebensweisen in die Völker eindringen, bis „die Wackeren, die Reinen aller Menschenkreise Mitarbeiter sind am Gottesreich auf Erden.“ (Der Jude und seine Zeit, Gesammelte Schriften, Bd.1)

Es gibt noch viele dieser Zitate von Rabbiner Hirsch die hier anzuführen wären, dem wäre dann aber kein Ende. Der Irrglaube, jeder möge nach seiner Façon glücklich werden, gilt für alle Menschen, außer dem Juden! Das Glück, die Befriedigung des Juden liegt ausschließlich in der Einhalten seiner ihm übertragenen Gebote.

Je weiter der Jude sich von seinem Judentum, dem Original, entfernt, desto mehr verkommt das Judentum für ihn zu einer Religion. Ist das Judentum zu einer Religion verkommen, wird es sich in den anderen Religionsgemeinschaften assimilieren. Dass die neue israelische Regierung nun dabei behilflich ist, ist ein schlechtes Omen.

 

 

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