Diesen Artikel von Rabbiner Samson Raphael Hirsch s“l zu Schawuoth habe ich der Jeschurun-Ausgabe Nr. 9, 6. Jahrgang erschienen im Juni 1860 gefunden. Er versucht die Ereignisse am Berg Sinai bis in unsere Zeit hinein zu erklären und zu beschreiben.
Ich habe die Thoravorlesung für den 1. Tag Schawuoth in der Übersetzung von Rabbiner Hirsch s“l diesem Artikel angehängt. Er beschreibt die Vorgänge die Herr Rabbiner Hirsch s“l hier zum Thema macht. Vielleicht lesen Sie den Anhang zuerst. S. 13.
Das Original finden Sie in der Universitätsbibliothek Frankfurt am Main unter:
https://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/cm/periodical/titleinfo/2932887
Der Text wurde dem heutigen Sprachgebrauch leicht angepasst und mit Erklärungen versehen von Michael Bleiberg.
ג‘ ימי הגבלה[1]
Die Sonne glüht — auf allen Fluren lacht der Sommer und treibt sein rastlos Werk fruchtschaffender Reife — und die zerstreuten Söhne des jüdischen Stammes haben Tage und Wochen gezählt bis zum Tage hin, der sie im Geiste allesamt wieder am Fuße des im Feuer lodernden Sinaiberges sammelt, jenem Feuer, das noch nicht erlöscht ist, das noch fort und fort sein Werk an uns zu vollbringen hat: leuchtend und wärmend, läuternd und belebend Geschlecht nach Geschlecht dem endlichen Ziele der Reife entgegenzuführen.
Wie wollen wir uns zusammenfinden um den leuchtenden Sinaigipfel? Was wollen wir mitbringen zum festlichen Weihe-Angebinde und zum gemeinsamen geistigen Festzeichen, das uns alle als die zum Sinai Berufenen, als die vom Sinai Stammenden, als die auf dem Sinai-Boden Stehenden kennzeichne, und uns in dem einen Gedanken, der einen Stimmung, dem einen Entschluss, mit denen wir der Anforderung des großen Momentes begegnen, wieder die einheitliche Gottesgemeinde dahinstelle, von der es einstens hieß: וַיִּֽחַן־שָׁ֥ם יִשְׂרָאֵ֖ל נֶ֥גֶד הָהָֽר[2] ?
Sollte dies ein anderer Gedanke, eine andere Gesinnung, ein anderer Entschluss, überhaupt ein anderes als das sein können, womit wir einst dem ersten Sinai-Tag entgegenzugehen hatten, sollten wir heute überhaupt ein anderes Einigungsband finden können, als dasjenige war, durch welches uns Gott damals als seine einheitliche Gemeinde um sein flammendes Feuerzeichen zusammenrief?
Fragen wir die Blätter, die von jenen Gottestagen am Sinai berichten:
לֵ֣ךְ אֶל־הָעָ֔ם וְקִדַּשְׁתָּ֥ם הַיּ֖וֹם וּמָחָ֑ר [3]– אַתָּ֞ה הַעֵדֹ֤תָה בָּ֙נוּ֙ לֵאמֹ֔ר הַגְבֵּ֥ל אֶת־הָהָ֖ר וְקִדַּשְׁתּֽוֹ [4] – וְגַ֧ם הַכֹּהֲנִ֛ים הַנִּגָּשִׁ֥ים אֶל־ה‘ יִתְקַדָּ֑שׁוּ [5] – וַיֹּ֤אמֶר ה‘ אֶל־מֹשֶׁ֔ה רֵ֖ד הָעֵ֣ד בָּעָ֑ם פֶּן־יֶהֶרְס֤וּ אֶל־ה‘ [6] – וַיֵּ֧רֶד מֹשֶׁ֛ה מִן־הָהָ֖ר אֶל־הָעָ֑ם וַיְקַדֵּשׁ֙ אֶת־הָעָ֔ם [7] – וְהִגְבַּלְתָּ֤ אֶת־הָעָם֙ סָבִ֣יב [8] –
קידוש und הגבלה, das leuchtet aus allem hervor, „Heiligung und Begrenzung“ war die Gesamt-Anforderung, die an uns allen zusammen und an jedem einzelnen für sich ihre Erfüllung zu finden hatte, als wir dem großen Gottestage am Sinai entgegengeführt werden sollten, קידוש und הגבלה füllten die Tage aus, die zu dem großen Erlebnis geleiteten.
קידוש und הגבלה, Heiligung und Begrenzung, sind das nicht Gegensätze, die sich aufheben, die sich gegenseitig beschränken und verneinen?
„Heiligung“ — völlige Dahingebung an einen Zweck, völlige Bereitstellung für eine Bestimmung, weihende Hingabe des ganzen Wesens an ein Einziges oder an einen Einzigen, das heißt ja קידוש, Heiligung; und demgegenüber הגבלה Umgrenzung, Umschränkung, Fernhaltung, פֶּן־יֶהֶרְס֤וּ [9]אֶל ה‘ das eine ruft uns hin zum völligen Aufgehen in Gott, das andere hält uns zurück und weist mit dem ernstesten Ernst auf die Schranken hin, die uns noch von Gott und dem Göttlichen trennen!
Wäre die sinaitische Offenbarung das, wozu man sie so gerne machen möchte, „Offenbarung bis dahin unbekannter Wahrheiten“, „Offenbarung göttlicher Heilswahrheiten“, hätte diese Offenbarung es überhaupt ausschließlich, oder auch nur zumeist mit dem Gebiet „des Glaubens und der Erkenntnis“ zu tun, wäre die Gotteserkenntnis, die Erkenntnis, dass es einen Gott und dass es nur einen Gott im Himmel und auf Erden gebe, wäre dies nicht lediglich der Anfang sondern die Summe und das Ganze der am Sinai offenbar gewordenen Lehre, wahrlich, es wäre nicht abzusehen, wozu es all dieser so bedeutsam eingeschärften Vorbereitungen bedurft hätte. Die Lehren von Gott, die die vom Sinai stammende Wahrheit predigt, sind so einfach, liegen dem menschlichen Gemüt so menschlich nahe, dass es ja nur eines kindlichen Blickes und eines kindlichen Herzens bedarf um in völliger Klarheit und in tiefster Innigkeit eine Wahrheit zu fassen, die philosophische Analyse und Synthese wohl verwirren, wohl abschwächen und unter Schonung der äußeren Hülle des eigentlichen Kerns und Lebens berauben, kaum aber irgendwie reiner und reicher über das hinaus zu führen vermöchten, was im Anblick des Himmels und der Erde und ihrer Schöpfungswunder bereits als die unzerstörbare Burg des Gottesreiches im Mund der Kinder und Säuglinge sein Dasein und seine Pflege findet. Wäre die sinaitische „Religion“ — um denn auch von der Sinaioffenbarung das Wort zu gebrauchen, durch welches man diese gemeinhin mit so vielem zusammen zu werfen pflegt, was sonst die gottesbedürftige Menschen-Brust auf Erden sich von ihren Beziehungen zu dem Reich des Übersinnlichen, zur „Befriedigung ihres religiösen Bedürfnisses“ konstruiert — wäre sie eine Religion, die ihre höchsten Triumphe und ihre höchsten Segnungen in der „Spende des Trostes im Leben und der Hoffnung im Sterben“ zu bewähren hätte; welcher so ängstlicher Vorbereitung hätte es bedurft um die Gemüter für die Empfängnis einer Lehre zu öffnen, die so sanft und leicht wie der Sonnenstrahl und die Frühlingsluft käme um Lebensmut und Todeszuversicht dem nach Tröstung lechzenden und nach Stärkung ausschauenden, armen Gemüte der Sterblichen mit freigebiger Beseligung zuzufächeln?
Allein nicht einen Glauben, nicht eine Religion, ein Gesetz uns zu bringen, rief uns der Gottestag am Sinai um den im Feuer der Gottesherrlichkeit flammenden Gottesberg zusammen, ein Gesetz, dem nicht mit einem leicht hingesprochenen Credo des Glaubens, nicht mit einem Seufzer selbstquälerischer Wehmut, nicht mit einem flüchtigen Entzücken himmlischer Regung genügt wird, ein Gesetz, das vor allem die Tat fordert, die innere und äußere Tat fordert, die innere unausgesetzte Arbeit an dem eigenen Geist und dem eigenen Gemüt, beide zu einer immer mächtigeren Werkstatt der Wahrheit und einer niemals welkenden Pflanzstätte der Sittlichkeit zu machen, und die äußere rastlose Arbeit an dem Ausbau der Erde und der Menschengesellschaft zu einem Reich Gottes, in welchem das Recht und die Sittlichkeit, die Pflicht und die Liebe alle Verhältnisse gestaltend beherrschen und im Einzeln-, Familien- und Völkerleben nichts als den göttlichen Willen auf Erden durch freie Menschentat zur Verwirklichung bringen. Ein Gesetz, das somit in vorderster Reihe nicht Tempel, sondern den Menschenleib und den Menschengeist und das Menschenherz, das Menschenhaus und die Menschengesellschaft als Boden seiner Wirksamkeit und dafür nicht weniger als das ganze Leben mit allen seinen Momenten und in allen seinen Momenten in Anspruch nimmt. Ein Gesetz, das somit das Schwerste von einem Menschen, das die freudige Unterordnung und Selbstdahingebung seines ganzen Wesens für sein ganzes Leben an einen höheren Willen fordert, ein solches Gesetz fordert hiermit eben nichts anderes als [10]הִתְקַדְּשׁוּת, als weihende Selbsthingebung wörtlich: „sich bereitstellen“, und seine vorbereitende Vorbedingung konnte keine geringere Anforderung stellen als: [11] לֵ֣ךְ אֶל־הָעָ֔ם וְקִדַּשְׁתָּ֥ם הַיּ֖וֹם וּמָחָ֑ר gehe zum Volk und heilige sie, d. h. mache sie zur Hingebung an das zu Erwartende bereit heute und morgen!
Und wie spricht sich schon in dieser vorbereitenden Aufgabe der ganze Charakter des zu erwartenden Gesetzes aus!
וְקִדַּשְׁתָּם [12], — [13]וְכַבְּסוּ שִׂמְלָתָם, — [14]אַל תִּגְּשׁוּ אֶל אִשָּׁה die an dem Inneren und mit dem Inneren zu vollbringende innere Tat der Heiligung und Bereitstellung des ganzen Wesens: [15]קידוש, — durch symbolische äußere Handlung verkörpert: [16] כִּיבוּס, — und durch opferfordernde sittlich freie Beherrschung der Sinnlichkeit sofort betätigt: [17] פְּרִישׁוּת, — siehe da in dieser ersten vorbereitenden Aufgabe die Grundzüge der diesem Gesetz so charakteristischen תּוֹרוֹת, עֵדוּת und חוּקׅים![18]
Keinen Gedanken und keine Gesinnung achtet dieses Gesetz, die so lichtscheu sind nicht den verkörpernden Ausdruck im Licht der Öffentlichkeit zu ertragen, oder die so schwach sind, dass sie das Leben der Tat nicht beherrschend zu gestalten vermögen, und ebenso kennt es keine bloß äußere Legalität der Handlungen, der sich dem Bereich der Gedanken und Empfindungen verschließen dürfte.
Alle Gedanken und keine Gesinnungen sollen äußerlich und alle äußere Tat auch das Innere erfassend und umgestaltend werden, das ist der Kanon, der der Architektonik des Lebens auf dem Boden dieses Gesetzes zum Richtmaß dient.
Selbst die ersten zehn Gottes-Aussprüche — עֲשֶׂרֶת הַדִּבְּרוֹת — die die Promulgation[19] des Gottesgesetzes eröffnen, und nun bereits die Grundrechte aller menschengesellschaftlichen Gestaltungen fast aller zivilisierten Völker geworden, — liegt ihnen nicht auch dasselbe Schema zu Grunde?
[20]אָנֹכִי beginnt, [21]לֹא תַּחְמֹד schließt den Kreis der Zehnworte, ein Gesetz fürs innere Leben am Anfang, ein Gesetz fürs innere Leben am Ende, und die Gesetze der Tat inmitten, spricht sich’s nicht schon dem flüchtigen Betrachten aus: aller Gedanke soll Tat und alle Tat soll Gedanke werden, alles Innere äußerlich, alles Äußere innerlich, ein harmonisches einheitliches Ganzes, ohne Disharmonie und Zerklüftung des Menschenwesens, und alles Menschliche: [22] גּוֹי אֶחָד בָּאָרֶץ, einheitlich auf Erden wie sein Gott [23] יָחִיד וּמְיֻחָד ב“ה in der Höhe!
Und nun näher betrachtet dieses Zehn-Wort des Lebens — zweiteilig, auf einer Tafel die Beziehungen zu Gott: [24]בֶּן אָדָם לַמָּקוֹם, auf der andern die Beziehungen zur Gesellschaft: בֶּן אָדָם לְחַבְרוֹ[25] dort das religiöse Gesetz, hier das bürgerliche Gesetz, aber das religiöse von אָנֹכִי bis [26] כַּבֵּד, mit Gedanken und Gesinnungen beginnend und gipfelnd in Tat, aber das bürgerliche von [27] לֹא תִּרְצָח bis לֹא תַּחְמֹד, beginnend mit der Tat und den Schlussstein in Gedanken und Gesinnung findend, welch eine Umwandlung der sonstigen Anschauung über Religiöses und Bürgerliches ist nicht mit dieser einfachen Architektonik der Gesetzesordnung gegeben!
Nicht wahr? Kirchliches und Bürgerliches, Religiöses und Soziales, das sind die beiden Faktoren, die die antike, und die in noch größerer Gegensätzlichkeit die moderne Welt gestalten. „Religion“ was ist das? „Gott im Geiste und in der Wahrheit anbeten!“ „Geist und Gemüt dem Göttlichen und Himmlischen zuwenden!“ Ihr Reich ist das Innere des Menschen, was hat sie (die Religion) mit Bürgerlichem, Irdischem zu tun! — „Bürgerpflicht“ was ist das? Gesetzlichkeit in Handel und Wandel, Loyalität des Verhaltens zwischen Mensch und Mensch, was kümmert sie (die Bürgerpflicht) mein Geist und Gemüt! — Mein Inneres meinem Gott, mein Wort und meine Tat der Gesellschaft — da habt ihr die unselige Zerklüftung des Lebens, die den Himmel von der Erde, die die Erde von dem Himmel scheidet, die das Himmlische unfruchtbar für die Erde, die das Irdische unbefruchtet von dem Himmlischen lässt, die den Menschen mit allen seinen höheren Gedanken und Gefühlen ins Jenseits oder auf die Grabstätten der Todesäcker weist, das Leben aber, das volle, wirkliche, frischpulsierende Leben der Menschenfamilien und Völker nicht von innen heraus — was hat das Innere mit dem Staatenbau zu schaffen! — sondern von außen gestaltend fassen zu können vermeint, und mit Industrie und Politik, mit Kammern und Kerkern, mit Kanonen und Finanzen in arithmetischem Kalkül das konstruieren zu vermögen hofft, was nur gepflanzt und gepflegt, organisch von innen heraus wie alles Lebendige wachsen und reifen kann auf dem Lebensacker des Herzens, unter dem Gedankenstrahl des Geistes, durch die schaffende Kraft des Göttlichen im Menschen und die segnende Allmacht und Liebe Gottes, des Beherrschers und Leiters des Weltalls und der Menschenherzen. Was ist geworden und was sehen wir werden durch dieses Auseinanderreißen der Menscheneinheit? Kirchen und Tempelsynagogen, Siechhäuser der Menschheit sind sie geworden, Kranke und Schiffbrüchige flüchten hinein, — der sich gesund fühlende und mit vollen Wimpeln Segelnde hat nichts mit ihnen zu tun, nichts — als höchstens die Furcht vor Krankheit und Schiffbruch zu beschwichtigen und sich ihre Tröstungen offen zu halten für den Fall des Erkrankens und Scheiterns und für den doch allen gewissen Ausgang in das unbekannte Reich, zu welchem der Tod der schweigend ernste Pförtner ist. Und das Staaten- und Völkerleben? Ratlos schauen die Staatenbauer und die Familienväter und die Menschensöhne aus, hoffen auf den politischen Messias, auf den Mann, der kommen soll, der — wie sie sich trösten, kommen wird, kommen muss weil ja sonst alles trostlos zu Grunde ginge — auf den Mann, der die Rettungsformel und die Gleichung für das Irrationalste erfinden werde: das Heil und den Frieden, den Wohlstand und das Wohlsein der Völker und Menschen trotz Laster und Verbrechen, trotz Verkehrtheiten und Ausschweifungen, trotz Unsittlichkeit und Entartung, trotz Gewissen- und Lieblosigkeit, trotz Verlachung alles Hohen und Opferfordernden durch äußere Institutionen zu sichern, ohne den schwierigen Weg der Umwandlung der Menschen von innen heraus, — die freilich jeder mit sich beginnen müsste, — versuchen zu dürfen!
So nicht das sinaitische Gotteswort! „אָנֹכִי„ spricht es, „Ich bin dein Gott!“ Aber, wenn ich dein Gott bin, wenn du mit Geist und Gemüt zu diesem ersten Gotteswort „Ja“ sprichst, dann לֹא יִהְיֶה לְךָ[28], dann musst du auch „Nein“ sagen zu allem andern, dann muss dieses „אָנֹכִי„ allein von dir Besitz nehmen, von deiner ganzen inneren und äußeren Welt, dann darf dir nichts anderes Gott sein, nicht im Geiste und im Herzen, aber auch nicht im Himmel und auf Erden, dann darfst du dir keine Idole machen zur Offenbarung der Wahrheit für deinen Geist, zur Befriedigung der Wünsche deines Herzens, zur Gewährung und Sicherung deines himmlischen und irdischen Anteils an der Welt, dann musst du aufrecht stehen vor allen Gewalten des Himmels und der Erde, vor keinem dich beugen, keinem dienen als dem einen Einzigen allein, der mit seinem „Ich!“ dein ganzes Wesen gebannt.
Dann ist er aber nicht dein Gott nur für den stillen Verkehr deiner Gedanken und Gefühle mit deinem Vater im Himmel, in den entzogenen Räumen der Tempel und der „Kämmerlein“. Dann ist er dein Gott mitten auf dem Markt des lärmendsten, geschäftigsten Menschenverkehrs, ist dein Gott selbst für jedes Wort, das du einsetzt für den Bau deiner bürgerlichen Stellung auf Erden, und [29] לֹ֥א תִשָּׂ֛א, und du kannst ihn nicht nennen, nicht nennen bei dem leisesten, geringfügigsten irdischen Handel und Wandel, ohne dass sein Name auf deinen Anruf Himmel und Erde in Bewegung setzt, Himmel und Erde für dich oder wider dich, zu Zeugen und Vollstreckern bereit stellt, so dass du stehst und fällst mit der Wahrheit oder Lüge deines gottbesiegelten geringsten, alltäglichen Wortes. Dann ferner fordert er die Bezeugung der Wahrhaftigkeit der Huldigung deines Gottes nicht mit Gelobungseiden, nicht mit Andachtszähren[30], nicht mit Tempelhymnen, eine Tat fordert er für deine Huldigung, ein dein ganzes Leben durchwebendes Weltenopfer für deine Anerkennung, einen den Namen seiner Herrschaft dir und seiner ganzen Welt aufprägenden Zeugen deiner Wahrhaftigkeit und des Ernstes deiner Huldigung, indem er den Sabbath, ein ganzes Siebtel deiner Zeit für sich fordert: Ist אָנֹכִי eine Wahrheit, eine Wahrheit לֹא יִהְיֶה לְךָ und לֹ֥א תִשָּׂ֛א, dann זָכוֹר אֶת יוֹם הַשַּׁבָּת לְקַדְּשׁוֹ[31], dann zeige es, dass du den Mut hast: an jedem Sabbath — nicht zu predigen und predigen zu hören, nicht zu singen und singen zu hören — dass du den Mut hast, allwöchentlich vierundzwanzig Stunden dich und deine ganze Welt auf seinen Altar zu legen, vierundzwanzig Stunden deine Herrschaft über deine Welt niederzulegen und ihm, ihm durch das Opfer deines Geschäfts, durch das Opfer deiner, seine Welt meisternden, in seine Welt die deinige schöpferisch hineinbauenden Tätigkeit, die lauteste, Himmel und Erde durchdringende Huldigung tatsächlich darzubringen. Hast du dazu nicht den Mut, dann gehe, gehe, dann ist אָנֹכִי dir eine Lüge, und לֹא יִהְיֶה לְךָ eine Lüge und לֹ֥א תִשָּׂ֛א eine Lüge, dann huldigst du mit wohlfeilen Worten die nichts kosten deinem Gott, dann stellst du ihm mitnichten den Herrscherthron im Himmel und auf Erden zurecht. Tempel baust du Ihm, um ihn dort hineinzubannen, aber dein Haus und dein Geschäft, dein ganzes bürgerliches, menschliches, wirkliches und wahrhaftiges Leben behältst du für dich und stellst dort hinein die Götzen deiner Selbstsucht und deines Eigennutzes, die Idole deiner Klugheit und deines Fleißes beugst dich vor Ihm in seinem Tempel und verleugnest Ihn höhnend in seiner Welt —
Und wie er „sein Zeichen zwischen dir und ihm“ im Anblick des Himmels und der Erde in seinem Sabbath von dir fordert, so fordert er endlich ein Wahrheitssiegel deines ihm huldigenden Gehorsams in dem noch engeren Kreis der Menschenfamilie durch gänzliche Selbstverleugnung einem Menschenwillen gegenüber um Seinetwillen — die schwerste Aufgabe, die einem Menschen zu setzen wäre — indem er [32] כַּבֵּ֥ד אֶת־אָבִ֖יךָ וְאֶת־אִמֶּ֑ךָ als letzte Gipfelung deiner „religiösen Beziehung zu ihm“ fordert. Nicht auf der Tafel des bürgerlichen, auf der Tafel des „religiösen“ Gesetzes steht „כַּבֵּד„. Denn die „Elternehre“ und der „Elterngehorsam“, wie sie das jüdische Gesetz vom Sinai fordert, hat nichts gemein mit dem „Ehre deinen Vater und deine Mutter“ der bloß bürgerlichen Familienordnung, mit der bloßen „Pflicht der Dankbarkeit der Kinder gegen Eltern“ unserer Moraldialektik. „Und säßest du als Mann im Ehrenkleide auf dem öffentlichen Ehrensitz an der Spitze deiner bürgerlichen Gemeinde und es käme dein Vater oder Mutter und zerrisse dein Ehrenkleid und schlüg dir aufs Haupt und spie dir ins Angesicht, sollst du kein kränkendes Wort ihnen entgegnen, sondern schweigen und dich beugen vor dem König der Könige aller Könige der es also von dir fordert.“ Oder „es nehme Vater oder Mutter, eine Million von dir und würfe sie in deiner Gegenwart ins Meer, sollst du ihnen kein kränkendes Wort entgegnen, dich ihnen nicht einmal betrübt darüber zeigen, geschweige denn gegen sie aufgebracht werden, sondern dich beugen vor dem Gebot deines Gottes und schweigen!“ So der „Schulchan Aruch“ deiner „Religion“ vom Sinai. Geht hin und sucht ein Gleiches in den Codices eurer bürgerlichen Gesetzgebung und in den Katechismen eurer religiösen Moral — —
Wie aber die „religiöse“ Sinai-Tafel mit dem Gottesgedanken beginnt, aber diesen Gedanken aus dem Bereich der Innerlichkeit hinaus führt in das Reich des Himmels und der Erde und hineinführt in den Bereich der bürgerlichen und schaffenden Tat und in den Kreis des Lebens der Familie und des Hauses, dorthinein Ihn gepflanzt wissen will und die Besiegelung seiner Anerkennung durch opfervolle, hingebungsreichste Handlungen und Taten fordert, — so beginnt allerdings die „bürgerliche“ Tafel mit [33] לֹא תִּרְצַח , לֹא תִּנְאָף וגו‚, du sollst nicht morden, sollst nicht ehebrechen, nicht stehlen, nicht falsches Zeugnis gegen deinen Nebenmenschen ablegen; aber sie glaubt mitnichten die bürgerliche Wohlfahrt gesichert zu haben, wenn sie die Legalität nicht auch in das Innere der Menschen pflanzt und wiederum das Schwerste von einem Menschenherzen fordert: du sollst nicht gelüsten nach dem Hause deines Nächsten, sollst nicht gelüsten nach dem Weibe deines Nächsten, nicht nach seinem Knechte und seiner Magd, nicht nach seinem Stiere und seinem Esel, nicht nach allem was deines Nächsten ist — [34] לא תחמוד! — und ihr meint allen Ernstes die bürgerliche Wohlfahrt bauen und sichern zu können durch bloß äußere Gesetzgebung, ohne die gesetzliche Umwandlung des inneren Menschen, die allerdings nur dem lebendigen Gottesgedanken möglich ist?!
Geht, geht! und wenn ihr an jede Straßenecke einen Kerker und vor jedes Haus einen Schergen und in das Innere eines jeden Gemaches die Hoheitszeichen eurer Macht hinpflanzt — und wenn ihr von frühester Kindheit an den Gemütern eurer Knaben schon den Respekt vor Bürgerpflicht und Bürgerehre mit dem was als den stärksten Hebel der Menschentat verehrt, — mit ihrem Eigennutz zu verbinden und sie zu lehren und zu spornen verstündet, dass sie ihr eigenes Glück nur durch Schonung und Förderung eures Glückes und der Wohlfahrt der Gesamtheit gewinnen können und ihr das eigennützige, lügenhafte Kalkül des so missverstandenen und missbrauchten „Was du nicht willst usw.“ — das unser Weiser als Kanon aber nicht als Motiv unserer Handlungen dahingestellt zum Einmaleins und Richtmaß ihrer einstigen Mannestaten macht und alles gewonnen zu haben meint wenn ihr eure Bürger aus Eigennutz brav zu sein gelehrt und gewöhnt — nichts habt ihr getan, das Verbrechen bricht an allen Ecken ein und lacht eurer Gesetze und eurer Macht, eurer Schergen und Kerker, und am allerersten eures klugen Moral-Einmaleins — eure Häuser und Städte und Staaten gehen zu Grunde wenn ihr die Herzen nicht zu gewinnen versteht, wenn ihr die Zufriedenheit mit dem eigenen und die neidlose Freude über des andern Glück und den Respekt vor des Mitmenschen Leben und Ehe, Eigentum, Glück und Ehre nicht in die Herzen eurer Menschen zu pflanzen und damit die Lüsternheit, die Luft an versagten Gütern und Genüssen aus den Gemütern eurer Menschen zu bannen, damit aber auch die Wurzel aller Verbrechen auszuroden versteht. “ יַֽחְפְּֽשׂוּ־עוֹלֹ֗ת תַּ֭מְנוּ חֵ֣פֶשׂ מְחֻפָּ֑שׂ וְקֶ֥רֶב אִ֝֗ישׁ וְלֵ֣ב עָמֹֽק [35]„ „Verbrechen spürt man auf, aber wir sind längst fertig wenn die Untersuchung beginnt, innen ist der Mann und das Herz ist tief!“ Das ist die Verbrecher-Lache, die aller Wohlfahrtsklammern eurer Weisheit spottet. Ja wohl! „Innen ist der Mann und das Herz ist tief!“ Und ihr wollt dieses innerliche und dieses tiefe Herz mit dem Arm eurer Macht erreichen?
Nur einer vermag Gesetzgeber der Menschheit zu sein, und das ist der, der zu seinen Bürgern nicht nur: du sollst nicht morden, sollst nicht ehebrechen, sollst nicht stehlen, sollst nicht falsches Zeugnis aussagen, der zu seinen Bürgern auch sprechen kann: du sollst nicht gelüsten! Das aber ist nur der eine Einzige vom Berge Sinai, ב“ה!
Er ist’s, weil vor ihm allein wir nicht nur mit unseren Worten und Taten stehen, sondern auch die schüchternsten Regungen unseres Herzens, die leisesten Gedanken unserer Seele vor ihm gewollt und gedacht werden, und er unser Inneres in der tiefsten Wurzel seiner Innerlichkeit zu fassen weiß!
Er ist’s, weil er eben der Gott vom Sinai ist, der nicht angebetet und angesungen und angeräuchert werden will in den Tempeln und Sanktuarien[36], der nicht zum Sinai, der מִסִּינַי, der vom Sinai gekommen sein will, gekommen sein will zu uns, gekommen in unseren ganzen irdischen Kreis mit all seinem leiblich sinnlichen, irdischen, vergänglichen Wollen und Streben, gekommen sein will zu uns, um uns, unter uns, in uns zu sein, sich, seinen heiligen Willen, sein heiliges Gesetz mit unserem ganzen Wandel auf seiner Erde zu vermählen — [37] מִימִינוֹ אֵשׁדָּת לָמוֹ — sein heiliges Gesetz, das wie das [38]אֵשׁ שְׁחֹרָה, wie das unsichtbare Lebensfeuer von unserem Innern Besitz nehmen soll, unser ganzes Wesen in allen Fibern, allen Fasern, allen Säften und allen Kräften zu durchdringen, zu läutern und zu umwandeln, zu erleuchten und zu beleben —
Er ist’s vor allem, weil er, weil der Gedanke an ihn, weil das Bewusstsein von ihm allein im Stande ist uns auch die Kraft und Fähigkeit zu geben, die schwerste und doch die einzige, alles soziale Heil bedingende Anforderung zu lösen, leicht und freudig zu lösen: לֹא תַּחְמֹד du sollst nicht gelüsten!
Nur er, nur der Gedanke an ihn, nur das Bewusstsein von ihm vermag einen jeden von uns reich und heiter und zufrieden und glücklich mit jedem Maß von Gütern und Genüssen zu machen, die wir besitzen und genießen, er, der Gedanke an ihn, das Bewusstsein von ihm allein vermag uns in jedem Mitwaller[39] auf Erden nicht den Nebenbuhler, sondern den Bruder erkennen, achten und lieben zu lassen und die kleinen und großen und größten Kreise der Menschheit von einer Kampfbahn wetteifernder feindlicher Renner, zu einer neidlos vereinten Brüderfamilie zu umwandeln.
Nur wem אָנֹכִי eine Wahrheit ist, vermag auch לֹא תַּחְמֹד zu einer Wahrheit zu machen.
Nur der wird ganz in die höhere Leitung und Führung aufzugehen vermögen, nichts für sich sein zu wollen, sich mit allem was ihm wird, und mit allem was ihm versagt ist, nicht von seinem Einzelstandpunkt zu begreifen, sondern von dem hohen Begriff aus sich zu würdigen gewöhnen, den ihm das Reich Gottes anweist — Wem אָנֹכִי eine Wahrheit ist, wer sich [40] ה‘ אֱלֹקיו als Kind und Diener unterordnet, der wird den Wert und die Bedeutung seiner Persönlichkeit und seines Lebens nicht nach dem großen oder geringen Maß des Besitzes, und nicht seinen Lebensfrieden von der mehr oder minder befriedigten Genusses-Lust abhängig machen. ה‘ אֱלֹקיו gegenüber, der [41] אָנֹכִי zu ihm spricht, wird ihm die Freude und der Schmerz nicht aus der Gewährung und Versagung, sondern aus dem Bewusstsein gelöster oder verscherzter Pflicht mit dem Gewährten oder Versagten erblühen. Eine Aufgabe wird ihm das Leben, ein fortlaufender Gottes-Dienst, Entsagen und Genießen, beides verbindet ihn mit Gott, in beidem sieht er nur ein Glück, eine Freude: das Wohlgefallen seines Herrn und Meisters, — ה‘ אֱלֹקיו gegenüber wird ihm jedes dem Nächsten verliehene Gut ein heiliges Gotteseigentum, jede dem Nächsten erblühende Freude ein heiliger Gottessegen, auf die er mit Achtung und neidloser, Gott verehrender Gesinnung blickt, — ה‘ אֱלֹקיו gegenüber wird jeder mitwallender Erdensohn [42] רֵעֵהוּ, gleich ihm von dem einen Weltenhirten auf der Weide seiner Hut; geführtes und gepflegtes Bruderwesen — ה‘ אֱלֹקיו gegenüber weicht nicht nur jede lieblose Tat, jedes lieblose Wort, ה‘ אֱלֹקיו gegenüber erstirbt jeder lieblose Gedanke, jede lieblose Regung im Entstehen — und so ist לֹא תַּחְמֹד der letzte Ring des Kreises, der auch die Gestaltungen der bürgerlichen Wohlfahrt in ihrem tiefen Grunde wieder an den ersten Ring des Gottgedankens, an אָנֹכִי knüpft —
Und wir wollen uns wundern, dass eine solche Offenbarung die sofort in ihren ersten Grundzügen sich nicht als Lehre, sondern als Gesetz ankündigt, und zwar als ein Gesetz, dass den ganzen Menschen in seiner ganzen Innerlichkeit und in seiner ganzen äußeren Lebenserscheinung erfassen und durchdringen, alles Innerliche sich in äußere Tat hinausleben, alles Äußere in dem tiefsten Grund der Innerlichkeit wurzeln lassen will, dass nun eine solche Offenbarung als ihre erste Vorbedingung קִדּוּשׁ, Heiligung, Bereitstellung des ganzen Wesens fordert und für diese vorbereitende Heiligung selbst sofort auch den sinnlichen Ausdruck — כִּיבוּס — und Entsagung und Selbstbeherrschung fordernde Tat — פְּרִישָׁה — gebietet, — und dass sie ganz besonders noch hervorhebt, dass הַכֹּהֲנִים הַנִּגָּשִׁים אֶל ה‘ יִתְקַדָּשׁוּ, dass insbesondere auch die Priester — ehe sie daran denken das Volk zu heiligen — auf ihre Selbstheiligung bedacht nehmen, an ihrer Selbstheiligung arbeiten müssen? — Denn nur indem sie sich selbst dem göttlichen Gesetz in erster Linie bereitstellen, können sie dem Volk voranwandeln und das Volk hinanführen zur Höhe, zu der sie selbst in unablässiger Selbstbearbeitung hinanstreben.
Fast aber noch mit größerer, ängstlicher Sorgfalt sehen wir הַגְבָּלָה, die Abgrenzung, die Fernhaltung angeordnet — [43] כָּל־הַנֹּגֵ֥עַ בָּהָ֖ר מ֥וֹת יוּמָֽת —[44] וְהִגְבַּלְתָּ֤ אֶת־הָעָם֙ — לֶךְ־רֵ֔ד… וְהַכֹּהֲנִ֣ים וְהָעָ֗ם אַל־יֶֽהֶרְס֛וּ לַעֲלֹ֥ת [45] — [46]רֵ֖ד הָעֵ֣ד בָּעָ֑ם פֶּן־יֶהֶרְס֤וּ אֶל ה‘— und welche bedeutsame, inhaltsschwere, folgenreiche Warnung muss diese הַגְבָּלָה nicht enthalten! Wie beredt bedeutsam spricht sie noch heute zu uns, wenn wir sie aus dem ganzen Zusammenhang des Ereignisses und der Tatsachen zu uns reden lassen —
In dem הִתְקַדְּשׁוּת, in der Hingebung selbst muss die Gefahr liegen, der eben mit der הַגְבָּלָה begegnet werden soll —
Und liegt sie nicht darin?
Greifen wir uns selber ins Herz!
Da fasst uns eine heilige und heiligende Regung, wir fühlen uns gehoben, Gott näher, besser — und weil wir uns näher fühlen glauben wir schon nahe zu sein und weil wir uns besser fühlen, glauben wir uns schon gut — und vergessen, dass wir mit alledem nur erst am Anfang, am vorbereitenden Anfang stehen, dass uns die bessere Regung nur Bürgschaft ist, dass wir besser, dass wir gut werden können, dass in unserm Innern noch nicht alles erstorben ist und dass die Dahingebung unseres ganzen leiblich sinnlichen Wesens an die Meisterschaft des Göttlichen möglich! Vergessen, dass die heilige, heiligende, zu Gott emporhebende Regung uns nur Bürgschaft ist, dass das vor uns auf hohem Bergesgipfel lodernd leuchtende Gottesfeuer auf einen verwandten Funken in unserm eigenen Innern rechnen könne, der, nur freigemacht, mit ewiger Sehnsucht zu dem Göttlichen vor uns und über uns hinan und empor will, aber niemals sein Ziel bereits erreicht hat, niemals sein Ziel erreichen kann, so lange er nicht die weckende, erleuchtende, läuternde, kräftigende, belebende, gestaltende, leitende Herrschaft und Meisterschaft über unser ganzes Wesen errungen hat — der vielmehr erst seine Arbeit, die Arbeit eines ganzen Lebens, zu vollenden hat, uns erst an unserer Stätte, in unserer irdischen Umgrenzung, inmitten unseres ganzen irdisch menschlichen Hüttenlagers, zu Gott dienenden Trägern der göttlichen Herrlichkeit zu umwandeln. Denn nicht um uns unserem irdischen Standpunkt zu entrücken kam Gott zum Sinai — „gehe hinab zum Volke, heilige sie und umgrenze sie, heilige sie innerhalb ihrer Umgrenzung, nicht sie sollen zu mir, ich will zu ihnen kommen, will sie ein Leben lehren, dass ihr ganzer irdischer Wandel ein mir heiliger werde und ich vom Sinai zu ihnen komme, „unter ihnen wandle“, „bei ihnen wohne!“ —[47] ה‘ בָּם סִינַי בַּקֹּדֶשׁ —
Sehen wir aber den Ernst, den strafenden, zurückweisenden Ernst —[48] מוֹת יוּמַת — der uns selbst bis auf das letzte Tier unserer Herde in die fern haltende Schranke bannt — אִם־בְּהֵמָ֥ה אִם־[49]אִ֖ישׁ לֹ֣א יִחְיֶ֑ה — so sagen wir uns: es muss diese ganze Gesetzgebung wesentlich auf dem Bewusstsein der Kluft stehen, die hier die Gesetzempfänger von dem Gesetzgeber scheidet, es muss die Gefahr der Verkennung dieser Schranke eine sehr naheliegende, die Gelegenheit dazu eine sehr verlockende und diese Gefahr selbst eine für das ganze Werk dieser Offenbarung höchst verderbliche sein — und da gabs wohl noch kaum eine Zeit seitdem wir um den lodernden Sinaigipfel gestanden, welche die Gefahr dieser Verkennung und die Verkennung dieser Gefahr uns so nahe vor Augen gerückt hätte als die Erfahrung unserer Tage.
Fast bis auf die letzte Linie haben wir diese Schranke übersprungen, haben uns selbst, haben das Göttliche in uns mit Gott über uns, haben die Gesetzempfänger mit dem Gesetzgeber schon fast ganz identifiziert, sind schon nahe daran laut, und noch näher fürs Erste es leise anzudeuten, zu lehren, zu predigen zu wagen: Gesetzgeber und Gesetzempfänger war eins, nicht zu dem Menschen und an den Menschen hinan drang das Wort, aus dem Menschen heraus ward es geboren das Gotteswort, war nichts als das zum Ausdruck gekommene dem Menschen innewohnende Göttliche, und darum kann sich auch das göttliche Gesetz — das im Grunde nichts als ein bloß menschliches ist — wie jedes Menschliche nicht der Einwirkung der Zeit entziehen, hat eine Geschichte und einen Fortschritt wie jedes menschliche Produkt, und darum hat es eine jede Zeit und ein jeder Mensch in jeder Zeit erst vor das Tribunal seines kritischen Urteils zu ziehen, hat jeder Gesetzempfänger sich erst legislatorisch als Gesetzgeber zu setzen, und während die kindischen Altvordern sich mit ihrem [50] נַעֲשֶׂה וְנִשְׁמָע bis zur Stufe der Gottes-Engel fortgeschritten wähnten, erkennen ihre fortgeschrittenen Enkel den Stolz ihres unendlichen Fortschrittes und ihres nie endenden Fortschreitens in der Devise: נַעֲשֶׂה וְנִשְׁמָע!
רֵ֖ד הָעֵ֣ד בָּעָ֑ם[51], „geh‘ hinab, warne das Volk!“ — וְהִגְבַּלְתָּ֤ אֶת־הָעָם֙ umschränke das Volk und halte sie warnend in dieser Schranke — [52] פֶּן־יֶהֶרְס֤וּ, lasse sie die Schranke nicht niederreißen, lasse sie der Schranke bewusst und ewig eingedenk bleiben, dass in hoher Ferne und persönlich gegenüber ihnen Gott gestanden, dass [53] מִן־הַשָּׁמַ֔יִם דִּבַּ֖רְתִּי עִמָּכֶֽם dass vom Himmel herab, nicht von Menschen heraus das Wort seines Gesetzes ihnen geworden, auf dass sie es als Gottes Wort und als Gottes Gesetz unantastbar halten alle Zeiten hindurch, ihm immer mehr in treuer Erfüllung die heimische Stätte in ihrer Mitte bereiten, nie aber sich über dasselbe in keckem Aberwitz erheben פֶּן־יִפְרֹ֥ץ בָּהֶ֖ם ה‚ [54]— —
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Die Sonne glüht — auf allen Fluren lacht der Sommer — wann wird unsere Sonne glühen, wann unser Sommer werden? Wenn das Sinaifeuer unsere Sonne wird — wenn, wie die Sternenwelten, Sonne suchend, Sonne fliehend — קידוש und הגבלה — ihre ewigen Bahnen finden, also uns in קידוש und הגבלה, ewig nah und ewig fern sich die Lebensbahn vollzieht, und unterm Strahl dieser Sonne alle unsere Kräfte keimen, alle unsere Blühten reifen.
[1] Drei Tage der Beschränkung
[2] Exodus 19:2; „und Jisrael lagerte dort dem Berge gegenüber.“ (Übersetzung Rabbiner S.R.Hirsch)
[3] Exodus 19:10; „Gehe zum Volke und heilige sie heute und morgen“ (Übersetzung Rabbiner S.R.Hirsch)
[4] Exodus 19:24; „du hast uns gewarnt: umgrenze den Berg und heilige ihn!“ (Übersetzung Rabbiner S.R.Hirsch)
[5] Exodus 19:22; „Und auch die Priester, die zu Gott hintreten, sollen an ihre Heiligung denken“ (Übersetzung Rabbiner S.R.Hirsch)
[6] Exodus 19:21; „Da sprach Gott zu Mosche: Gehe hinab, warne das Volk, daß sie nicht durchbrechen zu Gott hin“ (Übersetzung Rabbiner S.R.Hirsch)
[7] Exodus 19:14; „Mosche ging vom Berge hinab zum Volke, heiligte das Volk,“ (Übersetzung Rabbiner S.R.Hirsch)
[8] Exodus 19:12; „Umgrenze das Volk ringsum“ (Übersetzung Rabbiner S.R.Hirsch)
[9] Exodus 19:21 “ daß sie nicht durchbrechen zu Gott hin“ (Übersetzung Rabbiner S.R. Hirsch)
[10] Selbstheiligung
[11] Exodus 19:10
[12] Exodus 19:10 „und heilige sie“ (Übersetzung Rabbiner S.R. Hirsch
[13] Exodus 19:10 „und lasse sie ihre Kleider waschen.“ (Übersetzung Rabbiner S.R. Hirsch)
[14] Exodus 19:15 „nahet euch keinem Weibe.“ (Übersetzung Rabbiner S.R. Hirsch)
[15] Heiligung
[16] Das Waschen der Kleidung
[17] Enthaltsamkeit
[18] Siehe hierzu die Einteilung der Gebote von Rabbiner Hirsch im Chorew
[19] Verkündung
[20] Exodus 20:2; 1. Gebot „Ich, ה׳, sei dein Gott…“ (Übersetzung Rabbiner S.R. Hirsch)
[21] Exodus 20:14; 10. Gebot „Du sollst nicht erlüsten das Haus deines Nächsten;….“ (Übersetzung Rabbiner S.R. Hirsch)
[22] ein einziges Volk auf Erden
[23] ein einziger und besonderer Gott
[24] Zwischen Mensch und Gott
[25] Zwischen Mensch und seinem Nächsten
[26] Exodus 20:12; 5. Gebot „Ehre deinen Vater und deine Mutter…“ (Übersetzung Rabbiner S.R. Hirsch)
[27] Exodus 20:13; 6. Gebot „Du sollst nicht morden” (Übersetzung Rabbiner S.R. Hirsch)
[28] Exodus 20:3; „Es soll dir nicht ein anderer Gott sein…“ (Übersetzung Rabbiner S.R. Hirsch)
[29] Exodus 20:7; „Nimm nicht den Namen ה׳ deines Gottes zum Gleichgültigen auf dich;“ (Übersetzung Rabbiner S.R. Hirsch)
[30] Zähre=Träne
[31] Exodus 20:8; 4. Gebot „Denke des Schabbattages ihn zu heiligen.“ (Übersetzung Rabbiner S.R. Hirsch)
[32] Exodus 20:12, „Ehre deinen Vater und deine Mutter;“ (Übersetzung S.R. Hirsch)
[33] Exodus 20:13;
[34] Exodus 20:14;
[35] Psalm 64:7 Rabbiner Bernfeld übersetzt hier: „Sie ersinnen Frevel und verbergen ihn sehr tief in des Mannes Inneres und des Herzens Grund.“
[36] Reliquienschreine
[37] Deuteronomium 33:2 „aus Seiner Rechten ward Gesetz gewordenes Feuer ihnen.“ (Übersetzung Rabbiner S.R. Hirsch)
[38] Nach verschieden Schriften wurde die Thora aus weißen Feuer auf schwarzem Feuer geschrieben. Wie Rabbiner Hirsch hier das „schwarze Feuer“ in „unsichtbares Feuer“ interpretiert verstehe ich nicht!
[39] Waller=Pilger
[40] Gott, ist sein Gott
[41] Ich bin Dein Gott
[42] Sein Nächster
[43] Exodus 19:12 „Jeder, der den Berg anrührt, soll getötet werden.“ (Übersetzung Rabbiner S.R. Hirsch)
[44] Exodus 19:12 „Umgrenze das Volk ringsum“ (Übersetzung Rabbiner S.R. Hirsch)
[45] Exodus 19:24 „Geh hinab, ….. die Priester aber und das Volk sollen nicht durchbrechen zu Gott hinanzusteigen“ (Übersetzung Rabbiner S.R. Hirsch)
[46] Exodus 19:21 “ warne das Volk, daß sie nicht durchbrechen zu Gott hin“ (Übersetzung Rabbiner S.R. Hirsch)
[47] Psalm 68:18 „Der Herr ist unter ihnen, der Sinai im Heiligtume.“ (Übersetzung Dr. Simon Bernfeld)
[48] Sterben soll
[49] Exodus 19:13 „sei es Vieh oder Mann, er soll nicht leben bleiben; (Übersetzung Rabbiner S.R. Hirsch)
[50] Exodus 24:7 Wir wollen tun und hören
[51] Exodus 19:21
[52] Exodus 19:21
[53] Exodus 20:19 „daß ich vom Himmel mit euch gesprochen;“ (Übersetzung Rabbiner S.R. Hirsch)
[54] Exodus 19:22 „sonst könnte Gott über sie Verderben senden.“ (Übersetzung Rabbiner S.R. Hirsch)