Wir kamen Frankfurt immer näher. Die ganze Fahrt hatten wir strahlenden Sonnenschein, aber wir wurden telefonisch vorgewarnt: Heute Nachmittag wird es bei uns in Frankfurt regnen. Es scheint so unmöglich, wenn man im strahlensten Sonnenschein über die Autobahn brettert – doch tatsächlich – wir sahen Frankfurt von Ferne und es zog sich zusammen. Immer dunkler wurde der Himmel, immer schwüler die Luft und dann krachte es auf uns herab. Der Himmel öffnete seine Schranken, und nicht Regen, nicht Gewitter prasselte auf uns herab – sondern ein Unwetter. Ein schlechtes Omen für den morgigen Israeltag.

Aber so wie es gekommen, so war es auch schon wieder vorbei. Als wir vor dem Hotel vorfuhren, tröpfelte es nur noch.

Wir hatten vorgebucht. Das Zimmer war viel schöner als erwartet.

Für den Abend hatten wir uns im Restaurant „Shalom Makkabi“ verabredet. Manuela hat viele Freunde aus ihrer Jugendzeit und aus ihrer Zeit, als sie für das israelische Verkehrsamt in Frankfurt arbeitete. Im „Makkabi“ wurde Geburtstag gefeiert. Rabbiner Soussan hatte eingeladen, das Geburtstagskind war Israel, die Gäste alles junge Leute. Da das Wetter jetzt wieder so schön war wie zuvor, wurde im Freien gefeiert. Schön war es zu sehen, diese jungen Menschen, wie sie אבינו שבשמים und die Hatikva sangen, wie sie dem Rabbiner zuhörten, als er auf die Beziehung zwischen Gott und dem Heiligen Land und uns Juden hinwies und zum Abschluss das Schofar blies. Und dann ging die Geburtstagsfeier erst richtig los ….

Das Restaurant „Makkabi“ hatte einen schönen Tisch für uns reserviert. Die Stimmung war gut, das Essen war gut, und Manuelas Freunde kennenzulernen war für mich auch gut. Hier stellte ich zum ersten Mal fest – alles ganz anders als in Berlin.

Am nächsten Morgen fuhren wir mit dem Taxi zur „Hauptwache“. Dort sollte der „Israeltag – der Geburtstag Israels“ gefeiert werden. Wir hatten ja von Berlin aus dort einen Stand gemietet.  Ab 11:00 Uhr durften wir dort „aufbauen“. Aus Berlin hatte ich meine „Hirschbibliothek“ mitangeschleppt – warum? Nur um zu demonstrieren, wie reichhaltig der geistige Nachlass dieses herausragenden Rabbiners war und ist. Der Stand neben uns verkaufte Falaffel, und immer wenn sich dort eine Schlange bildete um diese Köstlichkeiten zu erwerben, sagte ich meinen Spruch auf. „Dort erhalten Sie physische Nahrung, bei mir geistige. Treten sie ruhig näher.“ Aber auch ohne Zuruf kamen interessierte Frankfurter an unseren Stand. „Verkaufen Sie die Bücher?“ „Nein, Sie sind mein Privatbesitz – es ist nur Anschauungsmaterial, um zu präsentieren, was für ein großartiger Rabbiner hier in Frankfurt wirkte und dass noch seine Kinder und Enkel in seine Fußstapfen gingen, und wäre nicht der 2. Weltkrieg …..“

Es ist interessant, dass sich nach dem 2. Weltkrieg überall in Europa auch wieder orthodoxe jüdische Gemeinden neu formierten. So in Amsterdam, in Straßburg, in Antwerpen, in Basel, in Zürich, in Wien — nur in Deutschland ist es nicht dazu gekommen. Jüdische Gemeinde ja – aber um Gottes Willen bloß nicht orthodox. Ja, der Rabbiner, als Aushängeschild vieler deutscher Gemeinden, der sollte schon orthodox sein. Und man beobachtet ihn und seine Familie mit Argusaugen, ob nicht irgendwo irgendwann ein halachischer Fehltritt bei ihm festzustellen wäre. Aber die Mitglieder der Gemeinden, wollen von der Orthodoxie in der Regel nichts wissen. Ausnahmen bestätigen die Regel – wie es so schön heißt.

Deshalb dachten wir, meine Frau und ich, mit unserer Hirsch-Initiative, gerade hier in Frankfurt die Öffentlichkeit darauf hinzuweisen, dass man nicht unbedingt hebräisch und aramäisch lesen und verstehen müsse, um sich mit der orthodoxen Literatur auseinanderzusetzen. Das große Vermächtnis von Rabbiner Hirsch, der ja von 1852 bis zu seinem Tode 1888 in Frankfurt als Rabbiner fungierte, ist es ja gerade, dass er seine Schriften auf Deutsch verfasste, was für einen orthodoxen Rabbiner zumal in der damaligen Zeit ein Novum war.  Er orientierte sich vielleicht an Maimonides, auch als Rambam (Rabbi Mosche ben Maimon) bekannt, der bereits im 12. Jahrhundert viele seiner Werke auf Arabisch veröffentlichte, die dann erst später hebräisiert wurden. Der eine wie der andere war sich bewusst, dass ihre jüdischen Mitbürger die hebräische Sprache nicht mehr oder nur ungenügend beherrschten.  Wir hatten den Eindruck, dass wir mit unseren Hinweisen die jüdischen als auch nichtjüdischen Besucher unseres Standes bereichern konnten.

Während der ganzen Zeit wurden auf einer Bühne Reden zur aktuellen Situation in Israel gehalten. Wir haben davon nicht viel mitbekommen, da wir doch immer wieder in Sachen Hirsch von Interessierten angesprochen wurden. Am Abend kam dann Rabbiner Apel noch kurz zu den Feierlichkeiten an der „Hauptwache“. Wir kennen den Rabbiner noch aus der Zeit, als er in Berlin tätig war. Er legte an unserem Stand sein Basecap ab mit der Bemerkung, dass die Sicherheitsleute ihm empfohlen haben die Kippa zu „verstecken“, wenn er in Frankfurt unterwegs ist. Deshalb trage er jetzt über der Kippa ein Basecap. Und als wollten sie das bezeugen, dass Kippatragen auch in Frankfurt nicht überall erwünscht ist, waren sie da, die sogenannten „Palästinenser“. Erst waren es nur zwei, die mit einem Handy Aufnahmen von der Veranstaltung machten. Doch dann wurden es mehr und mehr. Plötzlich sah ich den Organisator der Veranstaltung des Israeltages, Herrn Stawski, in einer großen Diskussionsrunde mit einer kopftuchbedeckten Frau, umringt von Schaulustigen und der Polizei. Was gesprochen und gesagt wurde habe ich nicht vernehmen können, aber es wird wahrscheinlich so etwas gewesen sein, was eine ältere Frau, die von hinten an unseren Stand kam auch fragte: „Was sagen Sie zu der Ermordung der palästinensischen Kinder?“ Thema: Kindermörder Israel. Wir baten einen in der Nähe stehenden Polizisten die Frau zu bitten, unseren Stand zu verlassen. — „Vielleicht sehen wir uns noch heute Abend im Gemeindehaus“ damit verabschiedete sich Rabbiner Apel von uns, als er sich sein Basecap wieder abholte.

Kurz vor 19:00 Uhr fingen wir an unsere Bücher und Broschüren, unsere Flyer und sonstigen Werbegeschenke wieder einzupacken. Mit dem Taxi ins Hotel. Mit dem Taxi dann etwas später zur Veranstaltung im Gemeindehaus.

Was waren wir positiv überrascht. Die ganze Gemeinde war bei schönstem Sonnenschein im Hof der Gemeinde versammelt. Der Gemeindevorstand hatte zu Kaffee und Kuchen geladen und das Restaurant „Sohar´s“ hatte Grillstände aufgebaut, und es wurde gelacht, gefeiert und ausgiebig geschmaust. Auch dort trafen wir wieder auf Manuelas Frankfurter Freunde. Und ich dachte bei mir, woran erinnert dich das alles?

Ja – richtig an meine Jugendzeit in Berlin vor mehr als 60 Jahren. Da hatten wir auch genau so eine Gemeinde. Da war in Berlin noch die Welt in Ordnung.

Bild von Rafael Herlich

  • Beitrags-Kategorie:Artikel