Diese „Kinderecke“ ist der Zeitschrift „Der Israelit“ Heft 50, vom 25.05.1909 entnommen. Die Geschichte von Abraham und den Götzen ist hinlänglich bekannt. Nicht so bekannt ist der Tyrann „Nimrod“, der am Ende der Geschichte sich beschämt von Abraham abwendet — in anderen Fassungen dieser Erzählung, Abraham ins Feuer werfen lässt aus dem er, Abraham, durch Gottes einwirken gerettet wird.
Dieser Geschichte habe ich neben einen Wikipediaeintrag über die Gestalt „Nimrod“ noch einen Auszug aus dem Kommentar von Rabbiner Samson Raphael Hirsch hinzugefügt, der dann für die etwas größeren Kinder gedacht ist.
Der Text wurde dem heutigen Sprachgebrauch leicht angepasst und mit Erklärungen versehen von Michael Bleiberg. Das Original finden Sie in der Universitätsbibliothek Frankfurt am Main unter:
https://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/cm/periodical/pagetext/2508216
Abraham und die Götzen
Aus dem Büchlein von Leo Tolstoi[1], „Jüdische Legenden“, Deutsch von Eman. Mischnajewski-Runin
(Verlag: Kurt Wigand, Berlin, Leipzig.)
Terach,der Vater Abrahams, war selbst Götzendiener und trieb dazu einen ausgebreiteten Handel mit Götzen.
Eines Tages musste er sich vom Hause entfernen und übergab die Leitung seines Geschäftes dem Abraham, der dazumal noch sehr jung war.
Bald trat ein Götzendiener ein, der sich ein Bild zu kaufen wünschte.
„Wie alt bist du?“ fragte ihn Abraham.
„Fünfzig!“ antwortete der Götzendiener.
„Und so ein Greis bückt sich vor einem Bilde, das erst gestern fertiggestellt worden? — Überlege es dir!“
Der Same der Wahrheit war hiermit aus dem Herzensgrund des Götzendieners gefallen.
Ein anderes Mal, ebenfalls in Abwesenheit Terachs, kommt eine Frau und stellt vor die Götzen eine Schale Mehl als Opfergabe hin.
Kaum war die Frau fort, als Abraham einen Stock nahm und alle Götzen zertrümmerte. Nur einen — den größten — ließ er unversehrt. Diesem Götzen schob Abraham einen Stock in die Hand.
Bei seiner Rückkehr sah Terach die angerichtete Verheerung und warf sich auf Abraham:
„Wer hat das gemacht?“
„Höre, Vater und staune!“ antwortete Abraham in aller Seelenruhe. „Kam da eine Frau und brachte den Götzen eine volle Schale Mehl. Ich legte die Schale den Götzen zu Füßen. Sofort entstand ein mörderischer Streit unter ihnen. Jeder wollte das Mehl für sich haben. Während alle zankten und sich rauften, nahm der größte, um Ordnung zu schaffen, einen Stock zur Hand und da siehst du: alle tot!“
„Nichtswürdiger!“ schrie der Vater auf, „als ob Götzen sich zu zanken und zu raufen vermögen! Können denn die Götzen sprechen oder Worte vernehmen?“
„Vater, Vater! Eine heilige Wahrheit birgt sich in deinen Worten!“
„Was für Worte, was?! Du willst mich unterweisen? Ich töte dich!“ ….
* * *
Das Gerücht kam Nimrod[2] zu Ohren und er ließ Abraham vor sich rufen.
Nimrod heftete seine Blicke auf ihn und sagte gebieterisch:
„Hier Feuer! Bete unseren Gott an.“
„Herr!“ erwiderte Abraham unerschrocken, „käme es mir nicht eher zu, das Wasser anzubeten, sintemal[3] dies das Feuer löscht?“
„Es sei wie du willst: bete das Wasser an!“
„Darf ich denn den Wolken Unrecht tun? Spenden Sie doch alles Wasser, das auf der Erde ist.“
„Wohlan denn, so bete die Wolken an!“
„Was bedeuten aber die Wolken im Vergleiche mit dem Winde, der sie doch zu zerstreuen vermag?“
„So bete denn den Wind an!“
„Den Wind? Was wird der dazu sagen, der Feuer, Wasser und Wind lenkt…. Blinder! Du siehst nicht die große Hand, die die Welt leitet.“
Der König wandte sich beschämt ab und ließ den jungen Abraham in Ruh.
Rabbiner Samson Raphael Hirsch zu Nimrod (Genesis 10:8-10)
וְכ֖וּשׁ יָלַ֣ד אֶת־נִמְרֹ֑ד ה֣וּא הֵחֵ֔ל לִֽהְי֥וֹת גִּבֹּ֖ר בָּאָֽרֶץ׃ הֽוּא־הָיָ֥ה גִבֹּֽר־צַ֖יִד לִפְנֵ֣י ה‘ עַל־כֵּן֙ יֵֽאָמַ֔ר כְּנִמְרֹ֛ד גִּבּ֥וֹר צַ֖יִד לִפְנֵ֥י ה’׃ וַתְּהִ֨י רֵאשִׁ֤ית מַמְלַכְתּוֹ֙ בָּבֶ֔ל וְאֶ֖רֶךְ וְאַכַּ֣ד וְכַלְנֵ֑ה בְּאֶ֖רֶץ שִׁנְעָֽר׃
Kusch zeugte den Nimrod; der fing an ein Held zu sein auf Erden. Er war ein verschlagener Held vor Gott: darum sagt man: ein Nimrod gleich verschlagener Held vor Gott. Der Anfang seines Königtums war Babel, Erech, Akad und Kalne im Lande Schinear.
Aus dem Kommentar zu 10:9
Obgleich צַיִד gewöhnlich von der Tierjagd gebraucht wird, so kommt doch der Begriff „צוד“ sehr häufig von der Menschenjagd vor; so חָמַ֣ד רָ֭שָׁע מְצ֣וֹד רָעִ֑ים (Mischle 12,12) und sonst. מְצוּדָה, die Festung, dient ja ganz nur der Einhegung und Einschließung von Menschen. Verwandt sind die Wurzeln ,“זוד“,“צוד“ „זוד“ .“סוד“ist der versteckte Vorsatz zur Tat, nicht die Tat selbst, der Entschluss dazu, der bis zur Ausführung verborgen bleibt. Ist überhaupt nur erst der vorgefasst, der noch lange an sich gehalten werden, oder der in seinen Motiven nie offenbar werden soll, so wird סוֹד, das Geheimnis, daraus. — סוֹד, das Geheimnis, ist eigentlich im Menschenkreise nichts Gehöriges. Nur Gottes סוֹד ist gut. Muss beim Menschen etwas בְּסוֹד gehalten werden, so ist entweder er, oder das zu Verheimlichende, oder seine Umgebung schlecht. Insbesondere das öffentliche Leben, das Walten der Regierenden — und wir stehen ja hier an der Wiege des Königtums — ehrt sich nimmer durch סוֹד. Geheime Politik ist nach jüdischem Begriff schlechte Politik. כְּבוֹד מְלָכִים, heißt es (Mischle 25, 2), die Ehre der Könige ist´s הַקֹּר דָּבָר, wenn jede ihrer Handlungen so klar und durchsichtig ist, dass jeder sie ergründen könne. Öffentlichkeit ist der Probierstein der Regentenhandlungen. Nur von Gott heißt es כְּבֹד אֱלֹקִים הַסְתֵּר דָּבָר, das Unerforschliche seines Waltens ist dem Menschen gegenüber das Siegel seiner Größe. — „צוד“ ist nun ein „זוד“, das בְּזָדוֹן gefasst, בְּסוֹד gehalten, im rechten Augenblick mit Gewalt (צ) hervorbricht. Das ist auch מְצוּדָה, Burgen, ursprünglich Raub- und Fangnester, isolierte Räume, in welchen sich der Gewaltherr sicher einpferchte und zu gelegener Zeit hervorbrach, um seinen Raub zu vollbringen.
Nimrod fing an, ein גִּבּוֹר צַיִד zu sein, ein Held der Menschenjagd, ein Gewaltiger, der seine Gewalt mit List vermählte, Menschen für seine Pläne zu fangen. Nichts sollte einen solchen Gegensatz bilden, wie גְּבוּרָה und סוֹד. Die Macht im Dienste des Rechts und des Rechten verschmäht Geheimnis und List, bedarf ihrer nicht. Dazu kommt noch, dass צַיִד selbst den Begriff des Selbstsüchtigen eines Zweckes involvieren muss, denn צֵידָה heißt Mundvorrat. Während לֶחֶם das zum sofortigen Gebrauch Errungene bedeutet, ist צֵידָה das klug vorbereitete Nahrungsmittel, das man gleichsam einfängt, um es zur bestimmten Zeit zur Hand zu haben. „צוד“ und „ציד“ ist somit nicht ein Fangen zur Vernichtung …., sondern zum Gebrauche, es ist also die Ausführung eines egoistischen Planes im eigenen Interesse. Hierin liegt die Gefahr der mit צַיִד gepaarten Gewalt, oder vielmehr der in den Dienst des צַיִד getretenen Macht, die den גִּבּוֹר צַיִד schafft. Denn dass גִּבּוֹרִים, die ,“Überlegenen“ voranstehen und die anderen sich ihnen fügen, ist eine Naturordnung des Heiles. Wie? Wenn der Starke seine Stärke im Interesse des anderen betätigt, Beschützer und Verteidiger des Rechts der Schwächeren ist. Das diametrale Gegenteil hiervon aber ist: גְּבוּרַת צַיִד, die Macht des Mächtigen, der seine Macht missbraucht, Menschen für seine egoistischen Zwecke zu umgarnen und zu fangen. Und eben Nimrod war der erste, der im Gefühle seiner materiellen, vielleicht auch geistigen, seine Zeitgenossen überragenden Überlegenheit, die minder Starken und Einsichtsvollen unterjochte und sie gleichsam gefangen hielt, bis zur Zeit, wo er sie für seine Zwecke gebrauchen wollte. Hier wird somit die schlimme Seite der Gewaltherrschaft gezeigt, die sich fortan in der Geschichte der Völker so unheilvoll bewährte, und zwar wird hier gezeigt, dass sie ihrem Ursprung nach durch Gewalt und List von oben und nicht durch freiwillige Unterordnung von unten eingeführt worden. Dass aber hier überhaupt von Menschenjagd, und nicht, wie man gewöhnlich meint, von einem gewaltigen Tierjäger die Rede ist, beweist das unmittelbar darauf folgende: וַתְּהִ֨י רֵאשִׁ֤ית מַמְלַכְתּוֹ֙, woraus evident, dass ein גִּבּוֹר צַיִד eine מַמְלָכָה gehabt haben müsse, oder überhaupt dass גִּבּוֹר צַיִד hier identisch mit מֶלֶךְ ist; נִמְרֹד war der erste Dynast. —
Nun folgen noch zwei bedeutungsvolle Worte: לִפְנֵ֥י ה׳ . גִּבּ֥וֹר צַ֖יִד לִפְנֵ֥י ה‘bezeichnet in תנ“ך nie, dass etwas gegen Gottes Willen geschehen sei, vielmehr drückt es gerade dasjenige aus, was zur Erfüllung des göttlichen Willens geschieht; so wiederholt in der פָּרָשַׁת בְּנֵי רְאוּבֵן וּבְנֵי גָּד (Bamidbar 32, 20 ff.) zur Bezeichnung der im Dienste Gottes zu entwickelnden kriegsbereiten Tapferkeit, אִם תֵּחָ֥לְצ֛וּ לִפְנֵ֥י ה‘ לַמִּלְחָמָֽה usw. Es dürfte daher auch hier dasלִפְנֵ֥י ה׳ nichts anderes, als „im Namen Gottes“, in ganz „frommer“, Gott wohlgefälliger Weise bedeuten, und hierin das Verderbliche dieser Erscheinung gipfeln. Der Name ה‘war noch nicht entschwunden, der Name, der, recht begriffen, alle Menschen gleich und frei macht, und Barmherzigkeit und Liebe in dem Verhältnis aller zu allen walten lässt. נִמְרֹד fing nun an, „im Namen Gottes“ seine Mitmenschen zu unterdrücken, er war der erste, der den Namen Gottes missbrauchte, die Gewalt durch den heiligen Schein des göttlichen Wohlgefallens zu verhüllen, oder vielmehr die Anerkennung der Gewalt im Namen Gottes zu fordern. Ging dies doch dann später im Altertume so weit, dass die Könige nicht bloß im Namen Gottes dastanden und die Nimrode sich mit dem Abglanz der göttlichen Majestät schmückten, sie wurden vielmehr selbst Götter, und gerade in Chams Geschlecht sehen wir vor ihrem eigenen Götterbilde knieende Pharaone. Dadurch ward Nimrod der Prototyp aller sich mit dem Heiligenschein verschlagen krönenden Dynasten, deren Macht, Politik und Heiligenschein man mit dem Worte kennzeichnete: כְּנִמְרֹד גִּבּוֹר צַיִד לִפְנֵי ה׳.
[1] Wikipedia: Lew Nikolajewitsch Graf Tolstoi (russisch Лев Николаевич Толстой, wissenschaftliche Transliteration Lev Nikolaevič Tolstoj, deutsch häufig auch Leo Tolstoi; * 28. August 1828 in Jasnaja Poljana bei Tula; † 7. November 1910 in Astapowo, Gouvernement Rjasan, heute Lew Tolstoi, Oblast Lipezk) war ein russischer Schriftsteller. Seine Hauptwerke „Krieg und Frieden” und „Anna Karenina“ sind Klassiker des realistischen Romans.
[2] Wikipedia: Nimrod ist ein altorientalischer, im Tanach bzw. der Bibel und im Koran erwähnter Held und König. Von manchen Forschern wird angenommen, Nimrod sei eine historische Person gewesen. In der Regel geht man jedoch davon aus, dass in dieser Figur unterschiedliche Mythen und historische Reminiszenzen verschmolzen sind.
Etymologie
Der Personenname נִמְרוֹד nimrôd, deutsch ‚Nimrod‘ wird im Hebräischen von der Wurzel מרד mrd, deutsch ‚sich widersetzen, rebellieren abgeleitet. Der seinem Namen nach starke Held rebelliert gemäß Flavius Josephus und anderen Darstellungen der frühen jüdischen Literatur gegen Gott. Es handelt sich aber wohl nicht um einen ursprünglich hebräischen Namen, sondern um eine Wiedergabe des akkadischen Götternamens Ninurta. Die Septuaginta gibt den Namen als Νεβρωδ „Nebrōd“ wieder, die Vulgata als Nemrod.
Bibel
In der Bibel ist Nimrod in der Abstammungslinie über Noachs Sohn Ham und dessen Sohn Kusch ein Urenkel Noachs. Nach der biblischen Erzählung Gen 10,8–10 und 1 Chr 1,10 war Nimrod „der Erste, der Macht gewann auf Erden“, also der erste Mensch, der zur Königswürde gelangte. Er wird außerdem als „gewaltiger Jäger vor dem Herrn“ charakterisiert.
Der Bibel zufolge führte Nimrod vom Kerngebiet seines Reiches, „Babel, Erech, Akkad und Kalne im Land Schinar“ (Gen 10,10), Eroberungszüge „nach Assur aus und erbaute Ninive, Rehobot-Ir, Kelach sowie Resen zwischen Ninive und Kelach“ (Gen 10,11–12 ).
Der Prophet Micha setzt in späterer Zeit Nimrod mit dem „Land Assur“ gleich (Mi 5,5). Die Versuche, ihn mit einer realen Herrscherperson zu identifizieren, waren jedoch erfolglos, so etwa mit Amenophis III., der als großer Jäger galt und sein Reich bis nach Mesopotamien ausdehnte. Édouard Lipiński identifiziert Nimrod mit dem babylonischen Hauptgott Marduk, Otto Procksch mit dessen Vorbild, dem Jagd- und Kriegsgott Ninurta, der dem Sternbild des Orion entspricht.
Jüdische Tradition
Nach jüdischer Überlieferung war Nimrod der Gründer des assyrischen und babylonischen Reiches. Nach ihm soll die Stadt Nimrud am Tigris benannt worden sein. Nimrod gilt gewöhnlich als derjenige, der den Bau des Turmes von Babel anregte, ein Sinnbild dafür, dass die Selbstüberschätzung des Menschen gegenüber Gott zum Niedergang führt. Die Frau des Nimrod ist in der rabbinischen Tradition Semiramis.
In der rabbinischen Tradition ist Semiramis die Frau Nimrods und erhielt ihren Namen, weil sie im Donner geboren war. Sie ist eine der vier Frauen, die die Welt beherrschten, zusammen mit Isebel und Atalja in Israel und Waschti in Persien.
[3] „Sintemal“ ist ein veraltetes, mittelhochdeutsches Wort, das seitdem, weil oder zumal bedeutet.
