Die Zeitschrift „Der Israelit“ schrieb am 4. November 1909 anlässlich des 150. Geburtstages Friedrich Schillers: „Es war vor 50 Jahren. Der 10. November war gekommen, und in weiten deutschen Landen und drüben über dem Ozean feierte man Schillers hundertjährigen Geburtstag.

In der damals recht kleinen Aula der Schule der Israelitischen Religionsgesellschaft stand der Direktor Samson Raphael Hirsch vor seinen Schülern und Schülerinnen und hielt seine Rede zur Schillerfeier. 50 lange Jahre sind dahin gegangen, Geschlechter ins Grab gesunken, Krieg und Frieden ist über die Erde gewandelt, unermesslich Großes entdeckt und geschaffen worden – und dennoch, wenn man diese Rede heute wieder liest, heute, da abermals ein Schillertag gekommen ist, man sollte meinen, die 50 Jahre seien ein Traum gewesen. …. Und wenn wir uns dann erstaunt fragen, wieso es denn möglich gewesen ist, dass diese Rede nicht unmodern geworden und nicht veraltet ist, so ist´s die Rede selbst, die uns die beste Antwort zu geben vermag. Friedrich Schiller hat ihr ja Modell gestanden der ewig Junge,  der nimmer altern wird, und dessen schlanke Gestalt nun schon riesenhaft ins zweite Jahrtausend hineinragt……

…. Schiller hat wenig von Juden und Judentum geschrieben und das Wenige in der Sendung Moses war ein schwerer Irrtum, und dennoch –Samson Raphael Hirsch hat es ausgesprochen, dass es unbewusst jüdische Gedanken waren, die seine Lieder erfüllen und das gerade darin die Ewigkeit seiner Werke begründet sei…

Aber Friedrich Schiller hat die Wahrheiten des Judentums nicht nur in seinen Dramen durch seine Helden und Heldinnen verkünden lassen –  er hat sie auch in einem seiner schönsten und schlichtesten Gedichte, in den Worten des Glaubens, seinen Menschenbrüdern als ein Denkmal übergeben:

Der Mensch ist frei geschaffen, ist frei.
Und die Tugend, sie ist kein leerer Schall.“

Und schließlich:                                                                    

Ein Gott ist, ein heiliger Wille lebt
Wie auch der menschliche wanke
Hoch über der Zeit und dem Raume webt
Lebendig ein höchster Gedanke.“

Klingt es nicht wie jüdische Lehre, dass wir frei sind, frei in unsrem Wollen und Entschließen, dass wir  gerade darum die Tugend als höchsten Besitz erwählen können, und dass hoch über der Zeit und dem Raume der Vater der Liebe die Geschicke Seiner Menschen lenkt?….soll das Judentum, das als Künder ewiger Gotteslehren über die Erde zieht, sich nicht besonders seiner freuen, als eines Propheten, der – ohne es zu ahnen – der Welt die Segnungen der Wohnungen Jakobs und der Zelte Israels gezeigt?

…. und darum wollen wir, wenn der 10. November gekommen, ihn in stillem Gedenken als Festtag feiern und des Vaters über dem Sternenzelte danken, der auf unerforschlichen Bahnen seine Boten zu den Herzen der Menschen sendet, der in Seiner Liebe auch Friedrich Schiller erwählt und ihm die Krone der Unsterblichkeit aufs Haupt gedrückt hat.“

Quelle: S. R. Hirsch, Gesammelte Schriften VI.
https://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/freimann/content/pageview/862717


  • Beitrags-Kategorie:Artikel