Thamus.

Der siebzehnte Thamus – ein Gedächtnis von fünf Trauermomenten in der jüdischen Geschichte.

בשבעה עשר בתמוז נשתברו הלוחות ובטל התמיד והובקעה העיר ושרף אפוסטמוס את התורה והועמד צלם בהיכל

Die Sonne glüht, auf allen Feldern lacht der Zukunft Reife — Israels Blick aber wendet sich der Vergangenheit, seiner Vergangenheit zu, und חורבן, Zerstörung, Trümmer, Ruine, diesen Gedanken bringt der sonnige Thamus in jede treue jüdische Brust. Manches Blatt der jüdischen Geschichte ward mit Tränen geschrieben; aber die tränenreichsten Blätter lieferten stets die „drei Wochen“, und die größten weltgeschichtlichen jüdischen Katastrophen — Nebukadnezar — Titus — Ferdinand — wählten sich diese Zeit zu ihrer tragisch großen Vollbringung. Gleichsam um Israel zu sagen, dass das Alles nur Fortsetzung des einen alten Verhängnisses, dass in diesem Allen nur dieselbe eine Gotteshand, dass dieselbe eine alte Ursache noch immer die gleichen Erscheinungen fortwirkend erzeuge, und das Galuth, das mit Nebukadnezar begonnen, nimmer enden würde, bis auch die letzte Faser der alten jüdischen Verirrung, die Israel das Galuth gebracht, in der erziehenden Schule des Galuth gründlich überwunden.

Darum, haben wir uns schon einmal gesagt, nicht Trauer ist der Grundcharakter der Gedächtnistage unseres חורבן, sondern „Fasten“, Einkehr zur Rückkehr und Aufkehr, Erkenntnis der Ursachen des Verfalles und Ermannung zur endlichen vollendeten Beseitigung desselben aus unserem Kreise, das ist die Aufgabe, für welche diese Fasttage der Erinnerung uns rüsten sollen. Sind’s doch überall nicht nur die frohen, heitern, aufbauenden Ereignisse, die unsere Pflicht und unsere Lebensaufgabe gestalten. Auch jedes trübe, in unsern Lebenskreis zerstörend eingreifende Ereignis, wie es unsere Lage, unsere Schicksalsstellung verändert, also bringt es auch neue Pflicht und bietet uns neue Seiten zur Lösung unserer Aufgabe. Diese Aufgabe an sich bleibt freilich ewig dieselbe, ist und bleibt für Israels Gesamtheit wie für den Einzelnen immer nur die Erfüllung der Thora, die Verwirklichung des uns vom Horeb überkommenen Lebensgesetzes. Allein die Bühne des Lebens, und mit ihr die Bedingungen zur Lösung dieser Pflichten werden mit jedem heitern oder trüben Ereignis verändert und solange dieses Ereignis in seinen Folgen uns dasteht, sollen wir stets von neuem vor Gott uns sammeln, vor Gott uns prüfen, vor Gott unser Leben unter dem Gesichtspunkte überschauen, der uns durch die Ereignisse eröffnet wird, deren Gedächtnis wir fastend begehen.

Der 17. Thamus, der als Anfang des tragischen Endes unserer einstigen staatlichen Existenz durch Jerusalems Erstürmung da steht bringt gleichzeitig das Gedächtnis von noch vier anderen Trauermomenten der jüdischen Geschichte, deren erstes aber zugleich als Wurzel und fortlaufend mitwirkende Ursache aller künftigen Katastrophen von Gott, dem Herrn und Lenker der Zeiten, selbst bezeichnet ward.

Die Sonne des 17. Thamus, die den wilden Römer über Jeruschalaims Mauern stürmen sah, hatte fast anderthalb Jahrtausende zuvor ein ganz anderes Schauspiel in Israels Lager begrüßt.

Vierzig Tage erst waren verstrichen, seitdem Israel der Sinai-Thora sein begeistertes „Naaßeh Wenischma“ zugejauchzt — und mit frühem Morgenrot war das Lager wach, war das Lager laut — es war aber nicht der Lärm des Krieges, war nicht des Sieges Lärm und nicht der Schrei des Falles, — war auch ein Jauchzen, aber ein die Seele zerschneidendes Jauchzen, ein Jauchzen bacchantischer Reigentänze um — ein goldenes Kalb! Und abseits stand vernichtet der Priester; der Priester mit dem weichen Herzen, mit dem milden, nachgiebigen Sinn — — hatte mit seiner Nachgiebigkeit das Volk vom Falle retten wollen — ויצא העגל הזה — und dieses Kalb war das Resultat seiner Nachgiebigkeit! Bei seinem Gott geweihten Altar ließ das Volk den Priester — und das goldene Kalb umtanzte das Volk!

„לך רד.“ Hinab, Hinab! Dein Volk hat Alles wieder umgestoßen, hat rasch den Weg meiner Pflicht verlassen, haben sich ein Kalb gegossen, haben ihm sich geweiht, ihm geopfert und haben’s verkündet: „Diese sind deine Götter, Israel, die dich aus Ägypterland heraufgeführt!“

Und aus dem wolkengehüllten Sinaigipfel tritt der Führer, die beiden Zeugnistafeln in der Hand, Tafeln von beiden Seiten geschrieben, wie du sie wendest, geschrieben — — Gottes Werk die Tafeln, Gottes Schrift die Schrift, frei durchgraben auf die Tafeln — — und er nahet dem Lager — und sieht das Kalb — und sieht die Tänze und sein Zorn lodert auf — und er wirft die Tafeln aus Händen und er zerschmettert sie unten am Berge!

בשבעה עשר בתמוז נשתברו הלוחות

וביום פקדי ופקדתי. „So oft ich je heimsuche, suche ich diese Sünde an ihnen heim“, sprach Gott, jede künftige Katastrophe wird mit durch diese Sünde erzeugt, hat diese Sünde mit zu sühnen — und wir dürften diese Sünde vergessen, wir dürften einenשבעה עשר בתמוז  vorübergehen lassen, ohne die Tafelscherben am Bergesfuß aufzulesen und diesen Tafeltrümmern die Lehre, die Warnung, die Botschaft abzulauschen, die sie uns zu bringen hätten? Wurden doch — לוחות ושברי לוחות בארון — neben den Gesetzestafeln diese Tafeltrümmer in heiliger Bundeslade bewahrt! Und wir sollten die Klippe, den Keim aller unserer Verirrungen, die Wurzel all‘ unserer Leiden nicht zu erkennen suchen, sollten am שבעה עשר בתמוז  nicht zu beherzigen uns bemühen: was unsere Gesetzestafeln zertrümmert? Und was unser Los, solange die Gesetzestafeln in Trümmern?

„Und Er gab dem Moscheh, als Er mit ihm auf dem Berge Sinai zu Ende geredet hatte, zwei Tafeln des Zeugnisses;“

die Tafeln sollten zeugen, dass Er mit Ihm auf dem Sinai gesprochen, und zugleich zeugen, wie Sein Wort von uns erfasst und erfüllt werden solle. „Die Tafeln waren von Stein; aber sie waren geschrieben mit göttlichem Finger!“ Den irdischen Stoff von Gottes Finger berühren und gestalten lassen, den irdischen Stoff dem Gepräge des göttlichen Geistes und des göttlichen Willens willig hingeben, den irdischen Stoff sich zum Träger der göttlichen Worte gestalten lassen — den Geist nicht Geist, das Wort nicht Wort sein lassen, sondern Geist und Wort als Beherrscher und Gestalter in den Kreis unseres ganzen irdischen Wesens einführen — dass von dem Finger Gottes unser ganzer irdischer Stoff sein Gepräge und seinen Wert und seine Gestaltung erhalten, und unser irdisches Dasein nichts anderes werde als ein von Gott und für Gott zeugendes Denkmal, und unser irdisches Leben nichts anderes als eine von Gott und für Gott zeugende Schrift — das ist die Summe des vom Sinai gesendeten Wortes.

„Und die Tafeln waren durch und durch von beiden Seiten geschrieben, מזה ומזה, wie du sie wendest, waren sie geschrieben!“

Nicht an der Fläche nur, nicht an der einen Seite nur, nicht oberflächlich und nicht einseitig soll uns das Sinaiwort ergreifen; durchdringen soll es uns, durch und durch soll es sich unserm ganzen Wesen in allen seinen Fugen aufprägen und einprägen und durchprägen, und wie man uns wende, überall soll an uns die Gottesschrift recht und leserlich und verständlich erscheinen! Siehe die zeugenden Gottestafeln! An ihnen gab’s kein Oben und kein Unten, keine rechte und keine Kehrseite! Die Schrift durchbohrte sie durch und durch und doch waren sie von beiden Seiten zu lesen! Also auch du! Durch und durch sei Jude! Und wie man dich wende, sei Jude! Grabe die Gottesschrift nicht nur einer Seite, einem Teile, einer Beziehung deines Wesens ein, dass von einer Seite, in einer Beziehung betrachtet, du als Jude, als Träger des göttlichen Namens und Willens erscheinest, aber wenn du den Rücken kehrest, und in andere Beziehungen trittst, du als alles Andere, nur nicht als Jude mehr erscheinest, du alles Andere, nur nicht den Namen und den Willen Gottes mehr trägst, oder doch nicht mehr ganz so Jude bist, nicht so ausgeprägt mehr den göttlichen Willen trägst. Durch und durch sei Jude, nach allen Seiten hin und in allen Beziehungen Jude! Und da achte nicht etwa eine Seite mehr dem Göttlichen zugewandt, dass du etwa nur auf diese eine Seite das durchdringende Gepräge des göttlichen Wortes empfangen, die andere Seite aber sich mit der Folge dieser Präge, mit den Spuren dieses Gepräges begnügen lassen wollest; dass man es etwa nur an der einen Seite merke, dass in die andere Seite die Kraft des göttlichen Wortes gedrungen — dass du darum etwa von Hauptseiten und Hauptzeiten, Hauptstücken und Hauptartikeln deines jüdischen Wesens sprächest. In Beziehung zu Gott hat das ganze menschliche Dasein keine Kehrseite und keine Nebenseite, Alles ist mit gleichem Ernst und gleicher Hauptsächlichkeit Gott zugewandt, Alles erwartet mit gleicher Entschiedenheit und gleicher Wichtigkeit und gleicher Unmittelbarkeit das Gepräge des göttlichen Willens. Lasse dich durch und durch und von allen Seiten vom göttlichen Worte durchdringen!

„Und die Tafeln“ — zuvor: Tafeln von Stein, geschrieben mit Gottes Finger — „Gottes Werk sind die Tafeln; und die Schrift Gottesschrift, frei durchgraben, die Tafeln bewältigend!“

Siehe da die Kraft, siehe da die Macht des göttlichen Wortes! Irdisch ist zuerst der Stoff, wenn er sich dem Finger des göttlichen Wortes darbietet, — Stein vom Gottesfinger beschrieben —; aber wenn ihn die Schrift durchdringt, durch und durch und von allen Seiten durchdringt, dann überwältigt die Schrift den Stein, dann überwältigt das Göttliche das Irdische, dann verliert der irdische Stoff selber seine irdische Natur, wird von dem ihn beseelenden Worte aus dem Kreis der unfreien Gebundenheit gelöst und mit hineingehoben in den Kreis der göttlichen Freiheit, hört auf Staub von Staub, Stein von Stein zu sein, wird göttlich Werk wie die Schrift, die er trägt, göttliche Schrift, undחרות על הלוחות , für den vom Gottesfinger beschriebenen Stein sind aufgehoben die Gesetze, die sonst den Stein, die tote Masse, beherrschen. Siehst du die Ätherbuchstaben durchleuchten den Stein? Ätherkreise schließen sich ganz um den füllenden irdischen Stoff — „Es fällt“! spricht das blöde, die Gesetze des toten Steins berechnende Auge, — „es fällt! es muss fallen, denn es hat ja allen irdischen Halt verloren!“ — „Es fällt nicht!“ spricht der göttliche Geist; Stein siehst du, Staub berechnest du, unbeseeltem Stoff kannst du dein Prognostikon stellen; aber den Geist siehst du nicht, der dieses Irdische umkreiset, aber die Macht des Göttlichen spottet deiner Berechnung. Mitten im Gottesäther schwebet der Stein, er trägt nicht die Schrift, die Gottesschrift trägt ihn, wie der Geist den Leib, wie die Seele den Körper, wie die Bundeslade den Priester — wie die Thora Israel! ם“ וס“ שבלוחות בנס היו  — עומדים, אל תקרי חרות אלא חירות

Das ist das Zeugnis der Tafeln für Israel! So soll Israel sein: כטל מאת ד‘ כרביבים צלי עשב אשר לא יקוה לאיש ולא ייחל לבני אדם wie Tau von Gott, wie Regenschauer aufs Kraut, dass es nicht hoffe auf einen Mann und nicht harre auf Menschensöhne! (Micha, K. 5,6.) Mit dem Augenblick, in welchem es sein: נעשה ונשמע der Thora zujubelte, soll es Verzicht geleistet haben auf jeden irdischen Halt, hat es gelobt: sich diesem Gottesworte rückhaltlos hinzugeben, von ihm, von ihm allein sich tragen zu lassen und der Gotteskraft dieses Wortes allein und für immer zu vertrauen. Wie der Stein, seiner natürlichen Schwerkraft überlassen, unhaltbar zu Boden stürzt, so fehlt Israel an sich jede Bedingung volkstümlicher Existenz und Dauer. „Heimatloser Sklave“ steht als völkertümliches Prognostikon über der Wiege seiner nationalen Geburt. Ohne Land, ohne Boden, fällt es, sich selbst überlassen, jeder Gewalt und jeder mutwilligen Tücke zum Raube. Aber von der Macht des göttlichen Wortes umfangen, von ihm durchdrungen, von ihm in allen Fugen seines Einzel- und Gesamtlebens getragen, werden an ihm alle politischen Berechnungen welthistorischer Konstellationen zu Schanden; vom göttlichen Worte umfangen, vom göttlichen Worte getragen, hat es den Tod nicht zu fürchten und die Gewalt nicht zu fürchten, לא קבלו ישראל את התורה אלא כדי שלא יהא מלאך המוות ואומה ולשון שולטת בהם – חרות מן המלכיות, חרות ממלאך המוות, חרות מן היסורין und ist unabhängig von allen, Massen beherrschenden Gesetzen anderer Völkerkreise.

Nicht Israels Untergang, Israels Existenz ist das weltgeschichtliche Wunder der göttlichen Vorsehung. Sie birgt ihr Angesicht — הסתר אסתיר פני ביום ההוא — und Israels Katastrophen sind die natürlichen Folgen des Kampfes der Ohnmacht gegen die Gewalt. Nur solange die Ätherschrift den Stein durchdringt, des Steines Teile umfängt, werden sie gehalten. „Die Schrift entflieht“ — und keine Menschenmacht vermag den Stein zu halten; — unrettbar liegen seine Teile zerschellt am Fuße des Berges. Das ist die Zeugenpredigt der Tafeltrümmer in heiliger Bundeslade.

Siehst du nicht wie sie zerbrechen mussten, wie für diese Tafeln keine Stätte war in dem ein goldenes Kalb umtanzenden Volke?

Hingebung, rückhaltlose, vertrauensvolle Hingebung an das Wort des göttlichen Gesetzes fordern diese Tafeln — und sie hatten dieses Vertrauen schon gebrochen, indem sie verzagten, als ihnen der Moses fehlte! Was ist dem Juden der Moses? Nicht im Moses und nicht im Aharon liegt seine Macht. Herolde des göttlichen Wortes sind sie ihm, und dieses Gottes-Wort, das sie ihm brachten, das sie in seine Mitte pflanzten, es allein soll des Juden Stütze sein und Führer. Erfülle Israel seine Thora rückhaltlos und wandellos — und es hat nicht zu hoffen auf Männer und braucht nicht zu harren der Menschensöhne, es kann der irdischen Gewalt und des menschlichen Führers entbehren, „seines Gottes Wort schreitet vor ihm her, zieht mit ihm voran durch die Wüstenei, und ebnet alle Hügel und knicket alle Dornen und tötet alle Drachen und spähet ihnen die Stätte aus, wo sie friedlich und sicher ruhen.“

Zuversichtliches und ausschließliches Vertrauen in die Macht des göttlichen Gesetzes und rückhaltlose Hingebung an dieses Gottesgesetz, das ist die Grundbedingung des jüdischen Heiles, und der Mangel hieran, der Zweifel an der göttlichen Macht dieses Gesetzes und an dem ausreichenden Schutz, den es allein Israel zu gewähren im Stande ist, das ist die Kardinalsünde, die alle Katastrophen Israels erzeugt. Mit der Thora im Arm soll Israel allen weltgeschichtlichen Stürmen Trotz bieten. Aber mit der Thora im Arm hat Israel immer noch nach anderen Schutzgöttern sich umgeschaut, hat hinübergeschielt nach den Brustwehren, die andere Völker sich aus Menschenmacht und Naturkraft erbauten. Es fehlte ihm der Mut, den Ätherflug auf der Thora Fittig zu bestehen; es wollte den Menschenkönig, der vor ihm her wandeln sollte, es wollte das Kalb, das es umtanzen konnte, es genügte ihm Gottes Wort nicht אוו לאלהות הרבה — es schrumpfte ihm das Lebenswort des allmächtigen, lebendigen Gottes zu einer „Religion“, zu einem Kultus zusammen, die nur einer Seite des Lebens entsprachen, einer Seite des Lebens genügten, neben welchen aber es noch ganz anderer Hebel und Stützen und Führer und Götter bedürfte! Und wieder — nach Jahrhunderten wieder — wünschte es sich den Menschenkönig, — und die Furcht des Menschenkönigs, durch die wiedererwachende Verehrung der unsichtbaren Macht des göttlichen Wortes gestürzt zu werden, brachte ihnen das „Kalb“ wieder. In seinen Tempel bannte man die Macht des göttlichen Wortes, aber das Leben, die Häuser, die Städte, das Land, den Staat, wagte man nicht, ihm anzuvertrauen, für die suchte man andere Prinzipien, andere Halte, andere Bande — der Geist Gottes schwand aus dem Volke — und der Assyrer Macht warf den Staat des göttlichen Wortes in Trümmer.

Von neuem erwachte der Geist des göttlichen Wortes im Volke, von neuem bewährte es seine Macht an Israel; Cyrus beugte sich vor ihm, die Makkabäer führte es zum Siege — Israel verließ zum zweiten Male seine Fahne! Als ob es nicht das Gotteswort gewesen, das sie zum Siege geführt, warfen die Makkabäersprösslinge das Gotteswort in den Winkel oder missbrauchten es zum bloßen Schemel ihrer Hoheit, hielten aber das Schwert fest in ihrer Hand, machten es zum Königsschwert, stellten zum zweiten Mal das Menschenkönigtum als Träger des jüdischen Volksgeschickes auf, entrissen zum zweiten Mal das jüdische Staatenleben dem Thorageist, stürzten die Thora vom Throne — die Häuser, die Familien blieben noch getränkt vom Thorageist, aber aus dem Staatenleben war er gewichen — da stürmte der wilde Römer über die Mauer!

בשבעה עשר בתמוז נשתברו הלוחות – בשבעה עשר בתמוז הובקעה העיר

An dem Tage, an welchem die Gesetzestafeln zerbrochen wurden, an dem Tage ging auch der jüdische Staat in Trümmer! und auch בטל התמיד, und auch שרף אפוסטמוס את התורה, und auch הועמד צלם בהיכל! — ging auch der Gottesdienst zu Grunde und ward auch die Thora verbrannt, ja wurde das Götterbild in den Tempel des Alleinigen aufgestellt! Denn wenn Israel im Leben sich der Thora entfremdet, wenn Israel אוו לאלהות הרבה, wenn Israel einen Gott hat in seinem Tempel und einen andern hat für seine politischen Zwecke, dem Gott der Thora seinen Tempel baut, außer dem Tempel aber der Menschenmacht oder — dem goldenen Kalbe huldigt — dann löscht Gott selber Sein Altarfeuer aus, dann macht Gott selber Seinen Altardienst zum Gespött der Fremden, dann lässt Er Israel eine Sau für seinen Altar ums Gold gereicht werden, dann lässt Er die Thora selber ins Feuer werfen, dann räumt Er dem Götterbild Seinen Platz im Tempel; denn dann — hat Israel schon zuvor Ihn zum toten, ohnmächtigen Weihrauchgötzen erniedrigt!

בשבעה עשר בתמוז הובקעה העיר   . Am 17. Thamus ging der jüdische Staat in Trümmer — und mit diesem Tage begann die Thora — ihre Triumphzüge durch alle Länder und Reiche! Seht dies Israel seitdem! Hat den Boden unter den Füßen verloren, ohne Macht, ohne irdischen Halt, von aller Welt verlassen, von aller Welt zurückgestoßen, nur auf Gott und seine Thora hingewiesen, lernt es und zeigt es die Macht des göttlichen Wortes, lernt es und zeigt es den Ätherflug auf den Fittigen des göttlichen Gesetzes, lernt und zeigt es die Tragkraft des göttlichen Geistes — zeigt es sich der staunenden Welt als das vom Gesetzesäther getragene Granitzeugnis für Gottesherrschaft und Menschenberuf.

Und von Zeit zu Zeit, im Laufe der Jahrhunderte, ließ Gott der Herr sein Volk immer wieder einmal den Boden berühren, ließ es sich immer von Zeit zu Zeit erproben, ob es endlich reif geworden sei für den ewigen Thorastaat auf Erden, ob es endlich mitten unter dem Wunder seiner Galuthjahrhunderte die Ohnmacht der Erdengötter gründlich verachten gelernt, ob endlich die Erfahrung seiner Galuthwunder den auch ihm innewohnenden, die Hingebung an die Kraft des göttlichen Wortes versagenden menschlichen Starrsinn — קשה עורף— gründlich überwunden, ob es endlich gelernt habe, sich der Thora rückhaltlos und ausnahmslos hinzugeben und diese Hingebung, die ihm im Galuth nie fremd gewesen, endlich auch in der Freiheit und in der Fülle und in der Selbständigkeit und in der Macht bewahren werde.

Aber noch immer hat Israel bis jetzt gezeigt, dass es diese Reife noch nicht gewonnen, dass es freilich nicht mehr den Zug durch die Wüste fürchtet, dass es bodenlos mit heiterer Zuversicht sich den Ätherfittigen seines göttlichen Gesetzes überlässt, dass es aber immer noch den Boden zu fürchten habe, immer noch wie es den Boden berührt, wie es festen Boden unter den Füßen zu spüren glaubt, sofort Gefahr läuft, auf diesem Boden vom göttlichen Gesetz zu lassen, diesen Boden selbst, die politische Selbständigkeit, die soziale Freiheit, die bürgerliche Berechtigung als Götter neben seines Gottes Thora zu verehren, ihnen das Leben — seiner Thora aber nur die Tempel einzuräumen, und die alte Churbansünde immer von neuem wieder zu begehen.

Und immer wieder hat sofort ihm Gott diesen Boden unter den Füßen schwinden lassen, hat es immer wieder den Ätherfittigen seiner Thora überwiesen, und wird es tragen und wird es erziehen, bis die endliche Zeit seiner ewigen Reife gekommen und alle die alten Verirrungen überwunden und alle die alten Verirrungen gesühnt und sich also das Wort erfüllt, auf welchem nach wiederverliehenen Zeugnistafeln der ewige Gottesbund mit Israel geschlossen ward: ילך נא ד‘ בקרבנו, כי עם קשה עורף הוא וסלחת לעווננו ולחטאתנו ונחלתנו, dass Gott mit uns wandeln werde, mitten in unserer Verirrung, und ob wir ein schwer zu erziehendes Volk wären, Er unserer Sünde, unserm Leichtsinn Verzeihung angedeihen lasse, bis wir endlich Ihm ganz in die Arme fallen, rückhaltlos, ausnahmslos, als Sein ewiges, eigentümliches Erbe.

Aus „Gesammelte Schriften, Band 1“
Quelle: http://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/freimann/content/pageview/863069

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